Grandios gescheitert
Jakobiner Jean-Alexandre Carney aus Montpellier wollte für Neugeborene verbindliche Vornamen vorschlagen, die sich an Kalender und Dezimalzeit orientierten. Heute ist die Vornamenwahl meist Ausdruck individueller Entscheidungen der Eltern, Carney aber wollte den Brauch abschaffen, Kinder nach dem kirchlichen Heiligenkalender zu benennen. Nach seinem Vorschlag wäre ein Kind mit dem Geburtstag 25. Juli 1800 beziehungsweise dem 6. Thermidor VIII nach der Pflanze benannt worden, die diesen Tag im Revolutionskalender benennt: der Schachtelhalm, französisch Prêle. Abhängig vom Geschlecht des Kindes und der Geburts(dezimal)-stunde hätte ein am Nachmittag geborenes Mädchen Maprêle, Méprêle, Miprêle, Moprêle oder Muprêle heißen müssen, ein in den Vormittagsstunden geborener Junge Gaprêle, Guéprêle, Guiprêle, Goprêle oder Guprêle. Das hätte allerdings für andere Tage auch zu zweifelhaften Namenskreationen wie Puibeuf (Junge) oder Jocochon (Mädchen) geführt. Solcherlei Namensdiktatur erschien wohl auch der revolutionären Bürokratie als zu viel der Regelungswut.
Ein Kalender geht auf Sendung
Der Kalender wurde für den öffentlichen Gebrauch am 5. Oktober 1793 eingeführt und trat rückwirkend am 22. September 1792 oder nunmehr dem 1. Vendémiaire I in Kraft – und wäre seine Einführung in Gänze wirksam und von Dauer gewesen, hätte es sich in der Tat um eine ganzheitliche Kalenderreform gehandelt. Zwei Tage vor diesem Stichtag hatte Johann Wolfgang von Goethe als Zuschauer der Kanonade von Valmy, die den Vormarsch der Revolutionstruppen zum Rhein einläutete, gegenüber einigen Offizieren seinen berühmten Ausspruch getan, der nicht minder gut zum Kalenderbeginn passt: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.«
Die Behörden verwendeten erhebliche Energie darauf, den Gebrauch des neuen Kalenders durchzusetzen. Das war auch nötig bei einer so grundlegenden Veränderung eines Alltagsinstruments. Und diese Energie reichte über die gesamte Zeit der Kalenderanwendung: Er ist vermutlich diejenige Neuerung der Revolution, für deren Realisierung der größte Aufwand betrieben wurde. Allerdings wurde die Umstellung vom alten Kalender nicht mit der nötigen Konsequenz betrieben. Denn auch wenn der neue Kalender Gültigkeit erlangte: Weder wurde die Nutzung des alten verboten noch die Regelungen des neuen sofort und vollständig umgesetzt; verbindlich war er immerhin ab sofort für die Verwaltung. Stattdessen versuchte man mittels PR-Aktionen die Befolgung des Kalenders zu befördern. Neben den Anweisungen, die den zuständigen Behörden der Departements zugingen, wurden Kalender und Almanache gedruckt, Reden verbreitet und Werke gefördert, die die neue Zeitrechnung propagierten. Ein Almanach warb auf dem Titelblatt mit viel Symbolik für den neuen Kalender: Für den stand ein Monopteros als »Jahrestempel« – in Anlehnung an die lichte Antike, aber vor allem als Abkehr von der Kirche und in seiner Rundform mit Verweis auf den zyklischen Charakter der Zeit. Seine zwölf Säulen für die Monate tragen je drei Plaketten für die drei Dekaden des Monats, darauf stehen die Tagesnamen. Als Hüter der neuen Zeitrechnung schwebt die Freiheit über den Rundtempel, an der Hand die personifizierte Vernunft, welche die Vertreter der überkommenen Zeit verjagt: Kaiser und Könige, Papst und Heilige. Mutter Natur hingegen zeigt den einfachen Landleuten den Tempel, der ja der ihre sein soll. Auch zuvor wurden in Kalenderstichen Zeit und Zeitrechnung bildnerisch vermittelt, nun aber griff man zu Attributen, die der neuen Zeit entsprachen.
Um das einfache Volk für den neuen Kalender zu begeistern, fanden in einigen Städten sogar Feste statt. Im nordfranzösischen Arras beispielsweise gab es einen Umzug, den zwölf Gruppen absolvierten, die Schilder mit den neuen Monatsnamen trugen. Um den Lauf des neuen Kalenderjahres zu versinnbildlichen, bestand die Gruppe des ersten Monats Vendémiaire aus kleinen Kindern, und das Alter der Gruppenteilnehmer stieg mit dem Fortgang des Jahres. Die Sansculottiden-Tage am Jahresende bestritten fünf Achtzigjährige – dahinter trug man für den Zusatztag eines Schaltjahres einen Hundertjährigen im Sessel. Das junge Neujahr danach symbolisierten wiederum kleine Kinder, die dem Kalenderzug hinterherhopsten. Solche Feste und Kalenderstiche aber, die die Zeitrechnung bildhaft und anschaulich vermittelten,
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