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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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und riecht ein wenig nach überirdischer Zustimmung für die Sache der Revolution. Das mag neben der Leerstelle durch die Abkehr von der Religion der Tatsache geschuldet sein, dass sich damit ein wenig vergessen machen ließ, dass die Natur als Grundlage für die neue Zeitrechnung zwar allseits beschworen wurde, der Revolutionskalender aber keineswegs auf rein natürlicher Grundlage basierte. Eine solche kann aufgrund der mangelnden Synchronizität zwischen den natürlichen Zeiteinheiten von Tag, Mondmonat und Sonnenjahr kein Kalender leisten.
    Hinzu kommt eine gewisse Spannung zwischen dem zyklischen Charakter der Naturzeit und dem linearen Charakter der menschlichen, die Vergangenheit und Zukunft kennt sowie eine Abfolge von Generationen oder Zeitaltern. Die oft geäußerte Kritik am Revolutionskalender, er sei in der Anwendung des Dezimalsystems gar nicht konsequent, ist aber ungerecht, denn die Gesetze von Mutter Natur vermochte auch eine Revolution nicht auszuhebeln; und solche Kritik sollte in Rechnung stellen, wie anachronistisch viele Aspekte des gregorianischen Kalenders sind, allen voran der Jahresbeginn am 1. Januar. Tatsächlich unbefriedigend aber war Rommes Schaltregel, weil sie im Vergleich zum gregorianischen Kalender einen Rückschritt darstellte. Einstweilen führte das aber nur zu einer Fachdebatte, zu der die Astronomen leidenschaftlich beitrugen.

Ideologische Kalenderpoesie
    Viel mehr noch als heute war dem 18. Jahrhundert die Benennung der Tage nach Heiligen geläufig. Mit dieser besonderen Betonung der christlichen Prägung des Kalenders sollte es nach Rommes Willen ebenso ein Ende haben wie mit den Monatsnamen, die er als Sammelsurium von Aberglauben und überkommenen Gewohnheiten ansah. In der Tat sind die Monatsnamen ja ein merkwürdiges Überbleibsel aus heidnischer Zeit, denn sie erinnern an römische Götter (März = der römische Kriegsgott Mars) und Herrscher (August = Kaiser Augustus) oder Bräuche (Februar vom Reinigungsfest februa ) oder spiegeln die Abfolge der Monate im römischen Kalender (September von lateinisch septem = sieben). Die neue Zeit sollte da Abhilfe schaffen; Romme wollte in den Monats­namen die Revolutionsgeschichte Revue passieren lassen und die Tage nach revolutionären Symbolen benennen – der politischen Erziehung wegen. Mit diesem Ansinnen allerdings konnte er sich nicht durchsetzen.
    Einstweilen benutzte man eine einfache Zählung, etwa entsprechend unserer kurzen Datumsangabe, was im Französischen wegen der umfangreichen Zahlwörter jedoch auf eine langwierige Bezeichnung hinauslief. Das befriedigte nicht, und nun kam ein weiterer Mann ins Spiel, dessen Name seither vor allem mit den Namen für Monate und Tage im französischen Revolutionskalender verbunden wird: der Dichter und Schauspieler Philippe-François-Nazaire Fabre d’Eglantine. Er war der Meinung, man dürfe die Bildhaftigkeit und Vertrautheit des gewohnten Kalenders nicht durch nüchterne Zahlenangaben ersetzen, und schuf eine Poesie der Kalenderbezeichnungen, die sich statt an Religion und Tradition an der Natur orientierte. Damit stellte er der rationalen Ausrichtung des neuen Kalenders den Naturbezug zur Seite, betonte die Harmonie zwischen Zeitrechnung und Natur und verlieh dem Kalender eine Anmut, die bis heute ihre Wirkung nicht verfehlt.
    Die zwölf Monate erhielten Namen, die zu den Jahreszeiten und ihren Naturerscheinungen passen, zudem haben die jeweils drei Monate einer Jahreszeit die gleiche Endung: Vendémiaire, Brumaire und Frimaire für den Herbst beziehen sich auf Weinlese, Nebel und Reif; Nivôse, Pluviôse und Ventôse für den Winter verweisen auf Schnee, Regen und Wind; Germinal, Floréal und Prairial stehen für Keimen, Blühen und die Wiesen des Frühlings; und schließlich versinnbildlichen Messidor, Thermidor und Fructidor die Ernte, die Hitze und die Früchte des Sommers. Der weitere, ausgreifendere Anspruch des Kalenders kam allerdings kaum zum Tragen, weil er nur in Frankreich und den besetzten Gebieten befolgt wurde: Zeit ist universell und sollte ebenso von Frankreich in die Welt verbreitet werden wie die Ideale der Revolution. Da hätte es allerdings gehapert: Weder hätte sich die Schönheit der Monatsnamen ohne Abstriche in andere Sprachen übertragen lassen, noch wären ihr Bezug zum Vegetationsjahr und die botanischen Tagesnamen in anderen Klimazonen, ja schon in Nord- oder Osteuropa, stimmig gewesen.
    Für die Tagesnamen folgte Fabre dem Prinzip Rommes, nahm

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