Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
Vom Netzwerk:
Nutzbarkeit als Instrument der Volkserziehung zu sprechen. Denn viele stimmten überein, dass der Republik am besten gedient sei, wenn ihre Bürger mehr republikanische Gesinnung an den Tag legten – und dafür bedurfte es erzieherischer Maßnahmen. Mit einem Mal erschienen die Dekadenfeiern als probates Mittel der Staatsbürgerkunde. Weiterhin uneins war man sich über die Frage, ob der Décadi verbindlich als allgemeiner Ruhetag festgeschrieben werden sollte. Hinsichtlich des Umgangs mit Kirche und Religion herrschten sehr unterschiedliche Ansichten; in jedem Fall hatte sich nunmehr, einige Jahre nach dem Bastillesturm, das Ziel einer völligen Dechristianisierung als illusorisch erwiesen, weil die große Mehrheit der Menschen die neu gewonnene Freiheit eben nicht dazu nutzte, sich von der Kirche abzuwenden.
    Die Beharrungskräfte bezogen sich aber nicht allein auf den religiösen Alltag der Menschen, sondern auch auf den profankalendarischen. Der Revolutionskalender wurde nach wie vor nur begrenzt befolgt, und die staatlichen Gremien sahen sich immer wieder mit Forderungen nach Änderungen konfrontiert: von behutsamen Modifizierungen bis hin zur kompletten Abschaffung. Auch einige der Wohlgesinnten meinten nämlich, der Kalender sei angesichts der Widerstände in der Bevölkerung recht eigentlich ein Sargnagel für die Republik.
    Im Jahr V des Revolutionskalenders sahen sich die Republikaner veranlasst, ihre Macht im Staatsstreich des 18. Fructidor zu sichern. Abermals regierte der terreur , die Schreckensherrschaft, abermals bestand die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Sicherung der Republik zu treffen. Dazu gehörte wieder einmal der Revolutionskalender als Erziehungsinstrument, der nunmehr mittels dreier Gesetze breit verankert werden sollte – der Kalender sei eines der am besten geeigneten Instrumente, »um bis zu ihren letzten Spuren die Herrschaft von Monarchie, Aristokratie und Kirche vergessen zu machen«. Naturgemäß spielte der Décadi dabei eine wichtige Rolle – nun wurde er per Gesetz zum verbindlichen Ruhetag. Unter Androhung von Strafen verfügte man, dass der Décadi verbindlich sei, nur im Privaten blieb es erlaubt, den Sonntag zu ehren – solange das nicht mit den Vorschriften kollidierte. Die behördlichen Vorgaben bezüglich Amts- und Marktzeiten und anderer Terminsachen sollten den Décadi endlich für alle Lebenslagen durchsetzen. Kurz darauf wurde er auch verbindlich als Tag der Eheschließungen vorgeschrieben.
    Allerdings ließ sich nicht durchsetzen, ihn auch für religiöse Zwecke als Kulttag vorzuschreiben – und auch nicht, per Gesetz zu diktieren, dass allein der Décadi Ruhetag sein dürfe. Es war also nicht rundweg verboten, die gewohnte und kirchlich vorgeschriebene Sonntagsruhe einzuhalten und beispielsweise auch weiterhin an diesem Tag des alten Kalenders seine Werkstatt zu schließen. Man schlug einen anderen Weg ein: Im Sinne der Vorschriften nicht gegen den alten Sonntag, sondern für den neuen Décadi sollte der alten Kalenderwirtschaft das Wasser abgegraben werden und der neuen Zeitrechnung im Alltag der Menschen umfassend Geltung verschafft werden.

Das schleichende Ende des Kalenders
    Im Jahr VIII wurden wieder einmal staatliche Kalendermaßnahmen erwogen, doch zu ihrer Umsetzung kam es nicht mehr, denn am 18. Brumaire beendete Napoleon Bonaparte per Staatsstreich die Regierung des Direktoriums; die Zeit des Konsulats begann. Zunächst wurden zwar die staatlichen Feiertage reduziert, der Décadi als staatlicher Ruhetag aber bestätigt – allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass in strenger Trennung von Staat und Privatleben den Einzelnen nunmehr wieder freigestellt wurde, den Ruhetag selbst zu bestimmen. Statt vom Revolutionskalender sprach man jetzt mal von Dekaden-, mal von Dezimalkalender, zu dem man sich aber rundheraus bekannte, weil er zur Republik und zu Frankreich gehöre. Der Kalender wurde also nicht etwa so rasch abgeschafft, wie er eingeführt worden war, sondern schleichend über Jahre nach und nach demontiert. Die klare Unterscheidung in vorgegebene staatliche und frei handhabbare private Kalenderwirtschaft stellte den Beginn der allmählichen Abkehr dar, alsdann folgte im Jahr IX (1801) das Konkordat mit der katholischen Kirche, welcher die neue Zeitrechnung natürlich ein Dorn im Auge war. Und trotzdem wurde auch jetzt der Revolutionskalender nicht abgeschafft, sondern lediglich sehr wirkungsvoll aufgeweicht – vor allem bezüglich des

Weitere Kostenlose Bücher