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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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darin, weiterzuleben. Aber die Idee, der Wissenschaft von Nutzen sein zu können, gab mir den Mut, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen. Ich flehe Sie an, weisen Sie mich nicht ab. (…) Bitte nehmen Sie mich für Ihr Experiment an.« Der Professor korrespondierte daraufhin mit der verzweifelten Frau und hatte offenbar die Absicht, sie zu verpflichten.
    Als einziges Zuchttier in Sochumi kam ein 26 Jahre alter Orang-Utan namens Tarzan in Frage, weil er als einziger unter den Menschenaffen der Station geschlechtsreif war. Zwar ergaben Untersuchungen seine Zeugungsfähigkeit, dann aber starb Tarzan im Frühsommer 1929, womit das Experiment ein weiteres Mal gescheitert war. Der lebensverzweifelten Freiwilligen in Leningrad schrieb Iwanow in einem Telegramm, dass nach einem Ersatz gesucht werde. Ein neuer Anlauf sollte im Jahr darauf gemacht werden, dafür sollten neue Tiere angeschafft werden. Noch sah Iwanow keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass er sein Lebensprojekt weiter würde verfolgen können.
    Diesmal aber scheiterte die Fortsetzung der Bemühungen an den politischen Entwicklungen, die doch zuvor für Iwanow so günstig verlaufen waren. Mochte sein Projekt ideologisch auch überaus wünschenswert sein – der Wind drehte nun abermals. Jetzt geriet Iwanow als »bürgerlicher« Wissenschaftler der alten Generation selbst unter Beschuss, Parteivertreter und auch einige seiner Schüler verlangten seine Ablösung. Gleichzeitig sanken auch die Sterne anderer namhafter Unterstützer des Projekts, darunter der Gorbunows im Zusammenhang mit Flügelkämpfen innerhalb der KPdSU 1930 / 31.
    Iwanow wurde Ende 1930 von der Geheimpolizei verhaftet und beschuldigt, mit Kollegen aus der Agrarbiologie eine Konterrevolution angestrengt zu haben. Man würde vermuten, die ethisch verwerflichen Experimente zur Kreuzung von Affe und Mensch hätten bei den Anschuldigungen gegen Iwanow eine Rolle gespielt oder wären zumindest instrumentalisiert worden. Das war aber nicht der Fall, die diesbezüglichen Experimente des Biologen tauchen in der Kritik an keiner Stelle auf. 1930 ging es nicht um ein ethisch verwerfliches oder auch nur spektakuläres Forschungsprojekt; wichtiger waren Aspekte wie seine Unterstützung durch die Zarenfamilie, als Russland die Revolution noch bevorstand und Iwanows Forschungsgebiet die künstliche Befruchtung zum Zwecke der aristokratischen Pferdezucht war.
    Das Urteil lautete auf fünf Jahre Verbannung nach Kasachstan. Zwar wurde Iwanow bereits ein gutes Jahr später vorzeitig entlassen, als Stalin die radikale Phase der Kulturrevolution wieder beendete. Obwohl rehabilitiert, starb Iwanow aber bald darauf an den gesundheitlichen Folgen seiner Haft in Alma-Ata – an einem Herzschlag –, nur einen Tag vor seiner geplanten Rückkehr nach Moskau. Sein außergewöhnliches, monströs gescheitertes Experiment blieb bis in die Sechzigerjahre hinein vergessen, zumal er nie darüber publiziert hatte. Und selbst dann, als Iwanows Biograph das Thema erwähnte, blieb es ohne jeden öffentlichen Widerhall. Erst nach dem Ende der Sowjetunion hat der Moskauer Wissenschaftshistoriker Kirill Rossijanow das düstere Kapitel wieder ausgegraben.
    Soweit bekannt, wurden seither keine Versuche mehr unternommen, Mensch und Affe miteinander zu kreuzen, obwohl ein gewisses Interesse daran weiterhin bestand und wissenschaftliche Debatten darüber noch Jahrzehnte danach geführt wurden. Auch die Science-Fiction-Literatur konnte sich der Versuchung nicht entziehen, mit ähnlichen Szenarien zu hantieren. In der Sowjetunion fanden die eugenischen Visionen ebenfalls keine Umsetzung: Zum einen verordnete Stalin seinem Volk schon bald einen gesellschaftlich konservativen Kurs und verbot beispielsweise die Abtreibung, die erst einige Jahre zuvor erlaubt worden war. Zum anderen verlor die Eugenik an Boden, weil eine klare Abgrenzung von den Vorstellungen der »Rassenhygiene« NS-Deutschlands geboten schien.
    Vielleicht angeregt durch das Wissen einiger weniger um die Versuche Iwanows tauchten jedoch immer wieder Gerüchte auf, irgendwo in Afrika sei ein Affenmensch gezüchtet worden. Inzwischen gehen Experten aber davon aus, dass die Kreuzung zwischen Mensch und Menschenaffe auf dem Weg der künstlichen Befruchtung nicht durchführbar ist. Gleichwohl ermöglichen die Fortschritte der Genetik seither, Erbmaterial von Affe und Mensch zu mischen. Zur Erforschung von Erbkrankheiten wurden in den USA beispielsweise mensch­liche Hirnzellen in Affen

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