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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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verpflanzt. Immerhin spielen heute ethische Erwägungen eine gewichtigere Rolle als zu Zeiten Professor Iwanows und seiner interessierten Forscherkollegen in aller Welt. Doch eine Gewähr dafür, dass die Wissenschaft in Zukunft keine ethischen Grenzen mehr überschreiten wird, gibt es natürlich trotzdem nicht. Das ist auch deshalb fraglich, weil ethische Grenzlinien in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich gezogen werden. Hinzu kommt, dass Gen-Experimente in Nährstofflösungen und Petrischalen klinisch sauber erscheinen – ganz im Gegensatz zur monströsen Affen­vergewaltigung eines Professor Iwanow. Die Fortschritte in der genetischen Forschung aber und die Möglichkeit, beispielsweise durch Präimplantationsdiagnostik (PID) ins menschliche Erbgut einzugreifen und die Spezies Mensch auf diesem Weg zu »optimieren«, erinnern nicht zu Unrecht an die düstere Vergangenheit der Menschenversuche – denn die können durchaus auch im Reagenzglas stattfinden.

 

Wie eine Zähmung des Urwalds
HENRY FORDS »FORDLANDIA«
    Millionen Jahre wuchs im Amazonas Südamerikas unbemerkt die Quelle des Stoffes, nach dem das 19. Jahrhundert so süchtig wurde wie das 20. nach Erdöl: Kautschuk, der geronnene Milchsaft verschiedener tropischer Baumarten. Mitte des 19. Jahrhunderts löste die Entdeckung der Vulkanisation durch Charles Goodyear, der durch Zugabe von Schwefel unter Hitze aus Kautschuk den einmaligen Werkstoff Gummi machte, einen ebenso folgenreichen wie kreativen Wettstreit der Erfinder zur Anwendung des neuen Materials aus: Keilriemen und Dichtungsringe, Walzen und Schläuche, Eisenbahnpuffer und Isolierkabel – der auf Eisen und Dampf gestützten Spätphase der Industrialisierung hatte der Stoff gerade noch gefehlt.
    Als an Kunststoffe noch nicht zu denken war, kam Gummi wie ein Wunder über die Welt: elastisch und leicht zu bearbeiten, luft- und wasserdicht, ein hervorragender Isolator, stoß- und schalldämpfend, reißfest, weitgehend unempfindlich gegen extreme Temperaturen und Chemikalien – und zudem mit anderen Materialien mühelos kompatibel. Er lässt sich dehnen, pressen, biegen oder drehen und kehrt doch jedes Mal wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Industrie, Dampfschifffahrt, Eisenbahn, Telegraphie und schließlich die Autobauer kamen ohne Kautschuk nicht mehr aus. Weder hatte es zuvor ein vergleichbares Material gegeben, das die unzuverlässigen Stoffe Kork, Leder oder Schafsdarm ersetzen konnte, noch wurde seither ein gleichwertiger Ersatz gefunden oder entwickelt. Denn selbst die synthetische Herstellung aus Erdöl, die nach langen Mühen Mitte des 20. Jahrhunderts glückte, konnte den Pflanzenrohstoff nicht vollständig verdrängen.
    Noch heute wird ein Drittel des weltweit verbrauchten Kautschuks natürlich gewonnen, so wie jeder Autoreifen aufgrund einiger auch in künstlicher Herstellung unerreichter Eigenschaften des Pflanzenrohstoffs weiterhin zu einem Drittel aus Naturkautschuk hergestellt wird. Kein Bereich der modernen Technik kommt ohne den Einsatz von Gummi aus. Schlichtweg unvorstellbar also, wie ohne den Kautschuk die Industrialisierung weiter verlaufen wäre und ohne welche nützlichen Errungenschaften wir heute auskommen müssten.
    Bei aller Vielfalt der Anwendungen: Den größten und dauerhaftesten Nachfrageboom bescherte dem Kautschuk der Siegeszug des Automobils. 1886 in Deutschland erfunden, kam es zuerst in Frankreich en vogue . Im Pariser Bois de Boulogne fuhren reiche Damen ihre kleinen Elektromobile aus, als wären es Rassehunde. Aber während das neue Verkehrsmittel in Europa aufgrund des hohen Anschaffungspreises und erklecklicher Unterhaltungskosten noch über Jahrzehnte ein Luxushobby blieb, wurden zum Schauplatz der ersten Massenmotorisierung die Vereinigten Staaten. Noch bevor der Erste Weltkrieg begann, hatten die USA bei der Automobilproduktion den Marktführer Frankreich überrundet. In Nordamerika produzierte man weniger für den Luxussektor; für den rasanten Aufstieg der US-Automobilbranche sorgte vielmehr der Massenmarkt mit preiswerten, robusten Wagen. Und umgekehrt zu Europa ging die Motorisierung vom Land aus und erfasste erst dann die Städte.
    Der Mann, der in den USA das Automobil zum Massenvehikel machte, war der Sohn eines Farmers: Henry Ford, 1863 in Michigan geboren. Sein atemberaubender Aufstieg verkörpert wie kaum ein zweiter den Mensch gewordenen american dream . Schon als Halbwüchsiger reparierte der leidenschaftliche Tüftler die

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