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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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wurden Setzlinge gezogen und in britische Besitzungen nach Südostasien verschifft, um dort den Grundstock für Kautschukplantagen zu bilden.
    Als das 20. Jahrhundert anbrach, war der im Vergleich zu anderen Rohstoffen ohnehin stolze Preis für Kautschuk auf immer neue Spitzenwerte geklettert, vor allem durch den Aufschwung der Reifenindustrie, aber auch wegen seiner wachsenden Bedeutung als Rüstungsgut. Und schließlich wurde zu dieser Zeit mehr denn je auf den Kautschukpreis spekuliert, was den Markt nur noch mehr unter Druck setzte. Kein anderer Naturrohstoff hatte im freien Wettbewerb jemals vergleichbare Gewinnspannen erzielt; die Anleger frohlockten. Am anderen Ende der Welt aber, in Südostasien, waren fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit ausgedehnte Kautschukplantagen entstanden. Ein weiterer weitsichtiger und hartnäckiger Mann namens Henry Ridley, Direktor am Botanischen Garten von Singapur, hatte vorausschauend dafür vorgesorgt, dass die aus Brasilien über Kew nach Asien exportierten Kautschuksamen ihre Mission erfüllten: mit botanischer Forschung, mit dem Aufbau einer Samenreserve und mit Kautschuk-PR bei den Pflanzern vor Ort. Gegen alle Widerstände machte Ridley, der dafür als »mad Henry« verspottet wurde, den Überraschungscoup des Plantagenkautschuks möglich. Als in Britisch-Malaya und Ceylon Tee und Kaffee unter Schädlingsbefall und Krankheiten litten, wurde Hektar nach Hektar unter Kautschuk gebracht.
    Brasilien wiegte sich noch eine Weile in Sicherheit, dabei drängte immer mehr asiatischer Plantagenkautschuk auf den Markt – und erwies sich als besser als selbst der beste Urwaldkautschuk. Zudem machte sich der Standortvorteil Südostasiens bemerkbar: Billige Arbeitskräfte waren leichter zu bekommen als im Amazonas, und das kostenintensive System mit vielen profitverwöhnten Zwischenhändlern entfiel. Die Plantagen arbeiteten auch deshalb effektiver, weil weder wilde Bäume im Regenwald gesucht, noch der Kautschuk den endlosen Amazonas flussabwärts transportiert werden musste. Außerdem zahlte sich die jahrelange Forschung aus: Die Ausbeute pro Baum lag in Asien viel höher als im Amazonas. Mit anderen Worten: Wirtschaftlich und qualitativ war der Plantagenkautschuk der Urwald-Konkurrenz haushoch überlegen. 1913 wurde zum letzten Mal mehr Urwald- als Plantagenkautschuk produziert. Dann ging die Zeit des brasilianischen Kautschuks zu Ende, während Britisch-Malaya in kürzester Zeit zum größten Kautschukproduzenten der Welt aufstieg. Damit war Großbritannien der Platzhirsch im internationalen Kautschukhandel, die Kolonialmächte Frankreich und Niederlande mussten sich mit einer Nebenrolle begnügen.
    An der steigenden Nachfrage nach Kautschuk kam Henry Ford ein entscheidender Anteil zu, hatte er doch inzwischen die Welt auf vier motorisierte Räder gesetzt. Sein Modell T sollte über Jahrzehnte den Rekord als meistverkauftes Auto der Welt halten – bis ihm der VW Käfer den Rang ablief. Folglich hatte die Ford Motor Company, von deren Bändern damals die Hälfte aller weltweit produzierten Autos rollte, einen Riesenbedarf an Kautschuk. Das war der große Haken am US-amerikanischen Autoboom – oder besser gesagt: ein Hindernis. Denn über 90 Prozent der Kautschukproduktion stammte damals aus Südostasien, drei Viertel davon aus britischen Kolonien; sehr viel weniger kam aus französischen und niederländischen Überseebesitzungen. Mehr als 70 Prozent dieses Kautschuks aber ging in die USA, die eben keine Kolonien besaßen, welche für den Anbau von Kautschuk geeignet gewesen wären.
    Als Unternehmer in den Vereinigten Staaten und erklärter Patriot ärgerte Henry Ford die britische Vorherrschaft auf dem Weltmarkt für Rohkautschuk. Als vollends unerträglich aber empfand er die Situation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Denn als im Gefolge des Friedensschlusses die Nachfrage für Rohkautschuk sank, begann London mit dem Aufbau eines Kautschukkartells, um die Preise zu stützen. Dagegen liefen die Vereinigten Staaten als größte Kautschukabnehmer Sturm; ein regelrechter Handelskrieg entbrannte zwischen Washington und London. Drei US-Industrielle nahmen die Herausforderung an und reagierten auf das Kartell mit eigenem Plantagenanbau: Die Reifenhersteller Firestone und Goodyear ließen im westafrikanischen Liberia beziehungsweise auf Sumatra und den Philippinen Plantagen anlegen. Und auch Henry Ford beschloss kurzerhand, seinen eigenen Kautschuk anzubauen. Noch forschte

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