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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Uhren der gesamten Nachbarschaft und konstruierte seinen ersten Motor, wurde Maschinist in Detroit, später Besitzer eines Sägewerks und schließlich Ingenieur im Unternehmen des berühmten Erfinders Thomas Alva Edison. Zehn Jahre nach dem Deutschen Carl Benz baute Henry Ford seinen ersten Motorwagen, gründete ein paar Jahre später die Detroit Automobile Company und schließlich 1903 die Ford Motor Company, die älteste der »Big Three«, wie die drei großen Autoproduzenten der USA noch heute genannt werden. (Die anderen sind General Motors und Chrysler, Letzterer inzwischen eine Fiat-Tochter.) Die Massenproduktion des Autos begann Henry Ford 1908 mit seinem Model T und führte als Erster in seiner Fabrik die Fließbandfertigung ein. Fords Bedeutung für den Aufbruch der USA ins industrielle Massenzeitalter ist immens, und seine Erfolgsgeschichte als Autobauer so überzeugend, dass bis heute mancher US-Amerikaner darauf wetten möchte, Ford habe nicht nur das Auto zum Massenprodukt gemacht, sondern es überhaupt erfunden.
    Henry Ford war um 1900 das, was ein Jahrhundert später Bill Gates verkörperte, der den Computer ja auch nicht selbst erfand, aber einen ebenso rasanten wie beeindruckenden Aufstieg zum reichsten Mann der Welt hinlegte, ohne dass es ihm in die Wiege gelegt worden wäre. Henry Ford war ein Tycoon, ein Titan, ein Industriemogul, ein kapitalistischer Tausendsassa – zu seinen Lebzeiten überschlugen sich Journalisten und Biographen mit Begriffen, die die schier übermenschliche Lebensleistung dieses Mannes in eins fassen sollten. Sogar als Jesus Christus der Industrie betete man ihn an. Und ins Fiktive verlängert, wurde dieser gottesfürchtige Teufelskerl sogar zum Angelpunkt einer neuen Zeitrechnung: Aldous Huxley ließ in seinem satirischen Zukunftsroman Schöne neue Welt die Menschen in den Jahren »nach Ford« zählen, mit dem Ausgangsjahr 1908 christlicher Zeitrechnung, als Fords erstes Modell T vom Band lief. In den über sechs Jahrhunderten seither, bis zur eigentlichen Handlung des Romans, wurde Ford zum Maß aller Dinge, die Menschen sagen »Ford sei Dank« und »Oh Ford«, Wichtigkeiten werden mit »Fordschaft« angesprochen, statt des Kruzifixes verehrt man das große F, und die Babys kommen, wie sollte es anders sein, vom Fließband.

Börsenliebling Urwaldkautschuk
    Die ersten fünfzig Jahre nach Goodyears Entdeckung der Vulkanisation hatte Brasilien den Kautschukhunger der westlichen Welt stillen können und daran gut verdient. Aber mit beständig wachsender Nachfrage stieg der Preis – immer tiefer mussten die Kautschukzapfer auf der Suche nach zapfreifen Bäumen in den Amazonasurwald vordringen, um den Bedarf zu decken. Schon Mitte der 1850er-Jahre forderte daher ein weitsichtiger britischer Kautschuk-Industrieller, Großbritannien müsse den Anbau von Kautschukbäumen in seinen tropischen Kolonien versuchen. Aber obwohl das Empire Erfahrung hatte mit botanischen Verpflanzungen wie der des chinesischen Tees nach Indien, sah die britische Regierung keine Veranlassung zum Handeln. In welch schwindelerregende Höhen der Bedarf noch steigen würde, war Jahrzehnte vor Erfindung und Siegeszug des Autos und der ihr zuliefernden Reifenindustrie ja auch noch gar nicht absehbar.
    Die fahrlässig-unbekümmerte Haltung ihrer Regierung weckte den Ehrgeiz einer Handvoll hartnäckiger Engländer, die mit einer Weitsicht, die heutigen Entscheidungsträgern zumeist abgeht, sich der Sache annahmen. Sie gehörten zur sich gerade formierenden naturwissenschaftlichen Elite Großbritanniens, die den Fortschrittsglauben des imperialen Zeitalters auf die eigene Arbeit übertrug. Im Zentrum standen die Royal Botanic Gardens in Kew bei London, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts britische Pflanzer in Übersee mit Samen und Setzlingen von kommerziell vielversprechenden Nutzpflanzen sowie dem dazugehörigen Knowhow versorgten. So war die Korkeiche nach Vorderindien, die Macadamianuss von Australien auf die Westindischen Inseln oder die brasilianische Brechwurzel nach Trinidad gekommen. In Kew heckte man das Unternehmen Kautschuk aus, denn inzwischen entstand allmählich ein Risikobewusstsein für die Versorgung mit jenem Naturrohstoff. 1876 sammelte der 30-jährige Abenteurer Henry Alexander Wickham, eigentlich ein Verlierertyp und miserabler Geschäftsmann, am Tapajós, der in der Nähe von Santarém in den Amazonas fließt, 70.000 Samenkapseln, die er gut verpackt nach England verschiffte. Aus denen

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