Grandios gescheitert
Einer der unvermeidlichen DDR-Witze, die der täglichen Mühsal der sozialistischen Mangelwirtschaft stets etwas Komisches und damit Tröstliches abgewinnen konnten, gab dem Eulenspiegel -Cartoon mit dem allwissenden Riesencomputer eine andere Pointe: Gefüttert mit allem verfügbaren Datenmaterial förderte er ein ganz anderes, aber nicht weniger klares Ergebnis zutage, wie allen bestehenden Problemen beizukommen war: indem man das Politbüro der SED einfach abschaffte.
Wie eine Revolution gegen die Natur DIE UMKEHRUNG DER SIBIRISCHEN FLÜSSE
»Lasst uns die zerbrechliche grüne Brust Sibiriens in einen Zementpanzer aus Städten kleiden, bewaffnet mit steinernen Muskeln aus Fabrikschornsteinen und umgürtet mit eisernen Riemen aus Bahnschienen! Lasst uns die Taiga abbrennen und abholzen, lasst uns die Steppen zertrampeln!« Wortgewaltig forderte der sowjetische Schriftsteller Vladimir Sasubrin, aus dem europäischen Teil Russlands gebürtig, in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts, die von der Natur so überaus reich beschenkten sibirischen Weiten einer industriellen Transformation zu unterziehen. Und nicht zufällig fühlt man sich an das berühmte »Futuristische Manifest« des Italieners Marinetti erinnert, der 1909 der Natur und der Tradition in martialischen Worten den Kampf ansagte. Ausgestattet mit dem selbstgewissen Furor eines futuristischen Autors und der siegessicheren Haltung des Bolschewiken, wollte Sasubrin bei den Umwälzungen des Fortschritts den gewachsenen Landschaften keine Chance zugestehen.
Was heute absonderlich anmutet, entsprach damals dem sowjetischen Zeitgeist, der emphatisch den Aufbruch in die industrielle Moderne proklamierte und dem »Neuen Menschen« im ersten sozialistischen Staat der Welt das Blaue vom Himmel herunter versprach: Mit den Segnungen der Technik sollte das Land geradewegs in die Zukunft katapultiert werden und das entbehrungsreiche Leben durch ein bequemes ablösen. Für die im Vergleich mit den westlichen Industriestaaten noch überaus rückständige Sowjetunion galt fortan die Technik als das, was der Spinat für den Comic-Helden Popeye war, der zur gleichen Zeit anderswo Furore machte: Im Handumdrehen sollte sie die nötige Potenz liefern, um zum Westen aufschließen zu können – und ihn sodann zu übertrumpfen. Allerdings ging dies, abermals ähnlich Popeye, mit einem übergroßen Selbstvertrauen auf die eigenen Fähigkeiten einher – und mit einem fatalen Hang zur Megalomanie.
Die sozialistische Schwelgerei in der Technik lenkte den Blick auf weite Teile der riesigen Sowjetunion, die gleichsam unnütz, zumindest aber ungenutzt dalagen, allen voran das riesige Sibirien. Sie sollten zum Zwecke der besseren ökonomischen Entwicklung und Ausbeutung mittels einer stolzen Reihe von Großprojekten einer regelrechten Revolution der Natur unterworfen werden: zum Wohl des Menschen und seiner sozialistischen Gesellschaft.
Erst wenn sie industrialisiert, domestiziert und in den Dienst des sozialistischen Fortschritts gestellt war, konnte die Natur zum Glanz des Systems beitragen. Im größten denkbaren Umfang sollten die natürlichen Ressourcen ausgebeutet werden, ob Holz, Rohstoffe oder Wasser. Flüsse sollten begradigt, Kanäle gebaut werden, um den Schiffsverkehr zu verbessern. Aus unfruchtbaren Gebieten sollten durch Bewässerung blühende Landschaften werden, Sumpfgebiete zum selben Endzweck entwässert werden. Wasserkraftwerke, nach Möglichkeit die größten weltweit, sollten Strom für die Industrie und die Privathaushalte produzieren. Erwägungen hinsichtlich einer behutsamen, nachhaltigen Entwicklung im Sinne umsichtiger Ressourcenschonung oder ökologischer Prinzipien spielten dabei kaum eine Rolle. Zwar waren in der Sowjetunion Naturschutz kein Fremdwort und Kritik an umweltschädigenden Maßnahmen zulässig, aber bei fehlender Lobby und ausbleibenden Sanktionen für Umweltsünder – im Allgemeinen die staatlichen Großkombinate – blieben Proteste fast immer folgenlos. Im Ergebnis führte das zu einer Entwicklung, die wiederholt als »Ökozid« der Sowjetunion bezeichnet wurde und sich als einer der Sargnägel des Systems erweisen sollte.
Staatliche Liebe zum Großprojekt
In der Geschichte spektakulärer Großprojekte belegt die Sowjetunion im internationalen Vergleich einen der vorderen Plätze. Das heißt allerdings nicht, dass anderswo keine Großprojekte verfolgt worden wären – der Welt war in den ersten beiden Dritteln des 20.
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