Granger Ann - Varady - 02
große Vorteil war, dass Onkel Haris Zeitungs- und Tabakladen bei mir um die Ecke lag. Ich war gerade in eine neue
Kellerwohnung in Camden gezogen, über die ich gleich
mehr erzählen werde. Die Wohnung verdankte ich einem
alten Burschen namens Alastair Monkton, für den ich ein
paar Nachforschungen angestellt hatte (und, wenn ich das
in aller Bescheidenheit sagen darf, mich dabei als Detektivin
verdammt gut geschlagen hatte).
Ich war richtig glücklich darüber, Ganesh in der Nähe zu
haben. Ganesh denkt logisch und geradlinig. Manchmal
kann er mich damit unglaublich auf die Palme bringen,
manchmal allerdings hilft er mir auch. Gut fand ich jedenfalls, dass er in meiner Nähe war. Ich konnte mich auf Ganesh verlassen, und wir alle brauchen schließlich irgendjemanden, auf den wir uns verlassen können. Für Ganesh war
es ebenfalls gut, weil der Job sauberer und leichter war als
der im Gemüseladen seiner Eltern – kein Schleppen von
Kartoffelsäcken oder Kisten mit Gemüse und Obst –, und
seine Familie musste sich nicht um ihn sorgen.
Auf der anderen Seite war Onkel Hari hochgradig neurotisch, ein Nervenbündel allererster Güte. Wer auch immer
seinen Laden betrat, war nach Onkel Haris Meinung ein potentieller Ladendieb, was zur Folge hatte, dass Onkel Hari,
nachdem der Kunde wieder gegangen war, regelmäßig nach
vorne stürzte und die verbliebenen Mars- und Erdnussriegel
zählte. Wenn jemand ein Magazin kaufte, blätterte Onkel
Hari es misstrauisch durch, um sicherzugehen, dass der
Kunde nicht ein zweites darin versteckt hatte. Mag auch
sein, dass er sich Sorgen darüber machte, ein Jugendlicher
könnte ein Heft in die Finger bekommen, das nur Erwachsene kaufen durften. Falls der Kunde um eine Packung Zigaretten von den Regalen hinter dem Tresen bat, drehte
Onkel Hari den Kopf hin und her wie eine Eule, damit der
Kunde auch ja nichts von der Ladentheke stehlen konnte,
während Onkel Hari ihm den Rücken zuwandte.
Von allen Männern, die ich kennen gelernt habe, war
Onkel Hari der mit den meisten Sorgen. Er machte sich wegen allem und jedem Sorgen, nicht nur wegen der betrieblichen Kosten und Zinsen und dergleichen mehr. Nein, er
sorgte sich wegen des Zustands des Pflasters draußen vor
der Tür und der unzuverlässigen Straßenbeleuchtung und
wegen des Fehlens von Papierkörben auf der Straße. Er
sorgte sich um seine Gesundheit, um Ganeshs Gesundheit,
um meine Gesundheit, um jedermanns Gesundheit …
hauptsächlich jedoch lebte er in ständiger Furcht vor irgendeiner unangenehmen Überraschung, mit der er hätte
fertig werden müssen.
Onkel Hari hatte allen Grund dazu. Ganesh hat mir irgendwann einmal erzählt, dass sein Onkel Hari ein traumatisches Erlebnis gehabt habe, das ihn nun für den Rest seines
Lebens verfolgen wird. Ein Jugendlicher war in seinen Laden gekommen und hatte eine Packung Zigaretten verlangt.
Es war ein großer, kräftig aussehender Bursche, wahrscheinlich noch keine sechzehn, aber er hätte durchaus so alt sein
können. Und er war, wie Hari dem Richter hinterher zu erklären versucht hatte, die Sorte Jugendlicher gewesen, die,
wenn Onkel Hari ihm keine Zigaretten gegeben hätte, in der
Nacht mit Freunden zurückgekommen wäre und sämtliche
Scheiben eingeschlagen hätte. Jedenfalls sah Onkel Hari das
so.
Augenblicke später, Onkel Hari hatte kaum Zeit gefunden, das Geld des Jugendlichen in die Kasse zu tun, stürzte
eine Frau von irgendeinem Verbraucherschutzverband herein und brüllte ihn an, weil er einem Minderjährigen Zigaretten verkauft hatte. Ihr folgten ein Bursche mit einer Kamera und ein weiterer mit Mikrofon und Bandgerät. Die
ganze Geschichte war eine Falle gewesen, arrangiert von einem jener Sender, die so sehr darauf erpicht sind, dass der
Kunde sein Recht bekommt beziehungsweise vor dem bösen
Verkäufer geschützt wird. Wer den armen Onkel Hari vor
den einheimischen Jugendlichen schützte, die vor niemandes Rechten Halt machten, interessierte dabei keinen. Hari
fand sich als Star einer Show wieder, bei der er nicht hatte
mitspielen wollen. Er erlitt damals fast einen Nervenzusammenbruch und schluckt noch immer eine Furcht erregende Menge von Kräuterpillen, die einen angeblich in die
Lage versetzen, mit so was fertig zu werden.
Seitdem jedenfalls sorgte sich Onkel Hari jedes Mal, wenn
er jemandem eine Packung Zigaretten verkauft hatte, der zu
jung für einen Seniorenpass war und den er nicht kannte,
und er sorgte sich noch mehr, wenn er keine
Weitere Kostenlose Bücher