Granger Ann - Varady - 02
energisch eine der Metallplaketten wienerte. Ein Stück weiter vorne, oben im Chor, war eine
zweite Frau damit beschäftigt, einen alten Hoover vor und
zurück zu schieben. Beide waren in ihre Arbeit vertieft und
hatten mich noch nicht bemerkt. Ich betrat die Kirche und
näherte mich der Frau auf der Kirchenbank, während ich
mich laut räusperte.
Sie drehte sich um und sah mich von ihrem Aussichtspunkt herunter an. »O, hallo«, sagte sie. »Kann ich Ihnen
helfen?«
Ich entschuldigte mich für die Störung und entgegnete,
dass ich ein paar Fragen hätte und ob sie ein wenig Zeit hätte, um sie mir zu beantworten.
Sie schien froh über die Gelegenheit, eine kleine Pause
einzulegen, und kletterte ächzend von der Bank herunter.
Sie war ein wenig zu schwergewichtig, um über Möbel zu
klettern wie eine Gazelle. Ihre Kollegin im Chor hatte den
Staubsauger abgeschaltet und bemühte sich nun, den vollen
Staubbeutel aus der Maschine zu holen.
»Muriel und ich sind mit dem Putzen dran, wissen Sie?«,
erklärte meine neue Freundin. »Ich bin Valia Prescott. Mein
Mann ist der Küster. Wenn Sie den Vikar suchen, dann kommen Sie vergebens, fürchte ich. Er ist heute Nachmittag unterwegs. Am schwarzen Brett hängt eine Rufnummer für den
Notfall. Wenn es sich um eine Taufe oder eine Hochzeit handelt, ist das natürlich kein Notfall, und Sie müssen wohl oder
übel bis morgen warten.« Sie hielt inne, um Luft zu holen.
Es ist schon eigenartig, aber manche Namen scheinen nicht
zusammen mit ihren Besitzern alt werden zu können. Ich
schätze, es wird eigenartig klingen, wenn ich dann mit achtzig
Francesca gerufen werde. Vielleicht sollte man seinen Namen
mit den Jahren ändern, ihn dem Alter anpassen und sich in
eine Maud, eine Doris oder eine Muriel verwandeln wie die
Beherrscherin des Staubsaugers. Der Name Valia beispielsweise ließ mich unwillkürlich an eine Waldnymphe denken, die
mit nichts am Leib außer ihren langen Haaren durch die Gegend hüpfte. Diese Valia hier war sicherlich über sechzig, mit
einer grauen, streng frisierten Dauerwelle und einem handgestrickten orangeroten Pullover, der in hübschem Kontrast zu
ihren geröteten Gesichtszügen stand. Keine der Informationen, die sie so bereitwillig vor mir ausbreitete, war auch nur
entfernt nützlich für mich. Ich nickte freundlich, um ihr zu
verstehen zu geben, dass ich alles aufgenommen hatte, und
erklärte dann den Grund meines Hierseins.
»Mein Name ist Fran Varady. Ich suche nach einem älteren Obdachlosen, der möglicherweise letzte Nacht draußen
im Windfang campiert hat. Sein Name ist Jonty.«
Sie sah mich im ersten Augenblick verblüfft an wegen
meiner ungewöhnlichen Bitte, dann wurde ihr gutmütiger
Gesichtsausdruck grimmig. »Irgendjemand hat vergangene
Nacht dort draußen geschlafen, keine Frage! Der Gestank
war wirklich grauenhaft, als ich so gegen zwei heute Mittag
mit Muriel hergekommen bin. Es ist schwierig, Reinigungspersonal für ein so großes Gebäude zu bekommen, außerdem kann die Kirche das Geld nicht aufbringen. Deswegen
hat ja die Müttervereinigung einen Putzplan aufgestellt. Es
macht mir nichts aus, hin und wieder sauber zu machen, im
Gegenteil – ich poliere gern Messing.«
Sie hielt inne und blickte zufrieden hinauf zu ihrem letzten Werk. Die Plakette war einem »Arzt in dieser Gemeinde« gewidmet und lobte ihn für seine »Pflichterfüllung als
Christ und als Mann der heilenden Zunft«. Seine Patienten
hatten ihn und seine Dienste im Jahre 1894 verloren. Die
Plakette glänzte wie Gold dank Valias Bemühungen. Ich
machte ihr ein diesbezügliches Kompliment, und sie strahlte
mich so leuchtend an wie die Plakette.
»Ich habe wirklich nichts gegen das Putzen! Aber irgendwo gibt es eine Grenze, und der Windfang gehört ohne Frage dazu! Nicht, dass ich die schlimmste Bescherung hätte
wegmachen müssen, darum hat sich Ben gekümmert, unser
Totengräber, gleich heute früh. Aber der Gestank war so
stark, dass wir einen Eimer Jeyes drüberschütten und alles
schrubben mussten. Es ist der Vikar, verstehen Sie?«
»Sie meinen, der Vikar lässt die Obdachlosen draußen im
Windfang schlafen?«, interpretierte ich ihre letzte, wie sich
herausstellte, missverständliche Bemerkung.
»Er erlaubt es ihnen nicht ausdrücklich, falls Sie das meinen, aber er hindert sie auch nicht daran. Wir hatten früher
eine Maschendrahttür vor dem Windfang, aber Vandalen
haben die Tür einfach kaputtgemacht. Dann kam der Vikar
auf die Idee,
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