Granger Ann - Varady - 02
keiner
Wimper. Sie dachte über meine Frage nach, bevor sie antwortete: »Ich weiß es nicht. Niemand kann das wissen, oder?«
»Sergeant Parry, das ist der Beamte, der bei mir war, um
mich über Albies Tod zu informieren, hat gesagt, dass es Albie wahrscheinlich jetzt dort besser geht, wo auch immer er
sein mag.«
»Aha«, meinte Daphne. »Aber das wissen wir auch nicht.
Dass er ein Tramp war, bedeutet noch lange nicht, dass er
nicht lieber hier wäre als dort zu sein, wo dieses Dort auch
sein mag. Auf der anderen Seite gibt es keinen Grund zu der
Annahme, dass es ihm gegenwärtig nicht prächtig geht. Warum denn auch? Ich persönlich glaube ja an Reinkarnation.
Wenn ich Recht habe, dann bekommt Albie seine Chance,
alles noch einmal zu machen. Andererseits, wenn die Theorie von einem Himmel richtig ist, dann ist er gewiss besser
organisiert als unsere Welt hier unten. Hier gab es vielleicht
keinen Platz für Ihren Freund, Fran, aber dort oben, oder
wo auch immer der Himmel sonst ist, gibt es ganz bestimmt
einen. Ich denke mir, der Himmel ist für jeden das, was er
sich darunter vorstellt. Im Fall Ihres Freundes also möglicherweise ein stets geöffnetes Obdachlosenasyl, mit einer
grenzenlosen Anzahl Betten.«
»Ich hoffe nur, sie zwingen ihn nicht zu baden«, brachte
ich mit einem schiefen Grinsen hervor.
»›Wenn unsere Körper schmutzig sind, heißt das nicht
zwangsläufig, dass unsere Seelen nicht sauber sind.‹« Daphne hustete missbilligend. »Diese Weisheit stammt natürlich
nicht von mir. Ich habe sie in der Sonntagsschule gelernt,
vor langer, langer Zeit. ›Und eure Seelen werden weißer sein
als der Kalk auf den Wänden!‹ haben wir als Kinder gesungen. Keine Ahnung, ob es der richtige Wortlaut ist, aber das
oder etwas Ähnliches haben wir jedenfalls gesungen.«
»Ich würde gerne glauben«, sinnierte ich, »dass wir alle
Seelen haben, Tiere wie Menschen gleichermaßen. Wo auch
immer Albie jetzt sein mag – ich hoffe, dass Fifi, ChouChou und Mimi bei ihm sind. Dass er wieder bei seinen
Hunden ist.«
»Warum nicht?«, erwiderte Daphne. »Nur, weil wir etwas
nicht mit Sicherheit wissen, ist es noch lange nicht falsch.
Wir haben lediglich keinen Beweis.«
Bingo!, dachte ich. Ich konnte nicht sicher sein, was mit
Albie passiert war, doch das hieß nicht, dass meine Vermutungen falsch waren. Ich brauchte lediglich Beweise. Parry
lag falsch, vollkommen falsch, wenn er dachte, dass ich so
schnell aufgeben würde. Nur weil er mich gewarnt hatte?
Nie im Leben! Und wegen Merv und seinem Kumpan? Erst
recht nicht! Ganz besonders jetzt nicht, nachdem ich eine
Rechnung mit Merv offen hatte.
Ich dankte Daphne für das Gespräch und den Brandy
und dankte ihr, weil es mir jetzt besser ging.
»Kein Problem«, antwortete sie. Als ich mich schon umgedreht hatte, um zu gehen, fügte sie hinzu: »Sie stellen
nichts Unüberlegtes an, Fran, oder?«
Sie verstand mich viel besser, als ich vermutet hatte. Das
war etwas, was mir zu denken gab.
Ich ging hinunter zum Kanal. Es war ein Besuch, den ich
machen musste.
Albies Leichnam war selbstverständlich längst weggebracht worden. Ein blau-weißes Absperrband markierte die
Stelle, an der man ihn aus dem Kanal gezogen hatte, und
auch das war bereits an mehreren Stellen eingerissen.
Der Streifen aus nackter Erde und spärlichem Gras neben
dem betonierten Treidelpfad war übersät mit Zigarettenstummeln und Bonbonpapierchen und von Polizeistiefeln
platt getrampelt. Doch jetzt waren die Polizisten und Neugierigen und Journalisten verschwunden, und ich war allein. Ich
war froh darüber, denn ich hatte vor, ganz feierlich von Albie
Abschied zu nehmen, und wollte keine Zuschauer dabeihaben. Ich legte den Strauß Nelken, den ich mitgebracht hatte,
auf das nasse, niedergetrampelte Gras. Der nächste Passant,
der hier vorbeikam, würde meinen Blumengruß wahrscheinlich einfach einsacken, doch ich wollte das Richtige tun und
den Ort von Albies Dahinscheiden auf anständige Weise
markieren, und wenn es nur für Minuten war. Ich trat zurück, wie sie es vor dem Londoner Ehrenmal für die Gefallenen der Weltkriege immer tun, und blieb mit gesenktem
Kopf stehen, während ich ein leises Gebet für Albie sprach.
Als ich meine kleine Abschiedszeremonie schon beenden
wollte, hatte ich mit einem Mal das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Ich blickte hastig auf in der Erwartung, dass
mich jemand vom Geländer oben am Rand der steilen Böschung her beobachtete oder sich
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