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Granger Ann - Varady - 03

Titel: Granger Ann - Varady - 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die wahren Bilder seiner Furcht
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hatte offensichtlich gerade erst angefangen zu arbeiten und
war hübsch zurechtgemacht in einem Mantel aus falschem
Pelz und hochhackigen Lederstilettos. Sie war nicht mehr
sonderlich jung, sicher schon in den Vierzigern, ein wenig
aufgedunsen mit wasserstoffblonden Haaren und zu viel
Make-up. Der italienische Kellner kannte sie offensichtlich,
denn er grinste ihr verstohlen zu, und ohne dass sie etwas
sagen musste, rief er dem Typ an der Espressomaschine
durch das ganze Café hindurch zu: »Hey, mach der Lady einen Kaffee!«
Sie bezahlte ihren Kaffee nicht. Ich schätzte, dass sie bereits gezahlt hatte.
Tig hatte die Szene ebenfalls beobachtet und sagte geringschätzig: »Warum bezahlen Kerle für sie? Sie kriegen jemanden wie mich fürs halbe Geld, und ich bin nur halb so
alt.«
»Dann pass gut auf die Zuhälter auf«, antwortete ich. »Sie
mögen keine Konkurrenz in ihrem Gebiet.« Ich sagte nicht,
dass die Professionelle sich wahrscheinlich die Mühe gemacht hatte zu duschen, bevor sie zur Arbeit gegangen war.
Viele Kunden, obwohl zugegebenermaßen nicht alle, würden sich vielleicht von Tigs Äußerem und dem Geruch nach
Straße abgestoßen fühlen.
Meine Begleiterin zuckte nur die Schultern. »Na ja, ich
gehe im Augenblick eh nicht auf den Strich. Ich hab dir ja
gesagt, dass ich das nicht mehr mach, es sei denn, ich brauche wirklich dringend Kohle, weißt du, und irgendein alter
Kerl kommt vorbei und fragt. Sie sind fast immer alt, die
Typen, die auf wirklich junge Mädchen stehen.«
»Ich weiß«, sagte ich. Die Erinnerung an Charlies Zudringlichkeit haftete mir noch frisch im Gedächtnis.
»Aber sie machen wenigstens keine Scherereien.« Ihr
Blick wurde dunkel. Sie dachte wahrscheinlich an die Behandlung, die sie durch die jungen Kerle erfahren hatte, die
Typen, die sie alle zusammen vergewaltigt hatten.
Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Wenn ich diesen Botengang für Tig übernahm, wäre ich einen ganzen
Tag lang weg aus London. Das bedeutete unter den gegebenen Umständen einen ganzen Tag, ohne ständig über die
Schulter nach hinten sehen zu müssen, einen ganzen Tag
ohne ständiges Erschrecken, wenn sich in den Schatten etwas bewegte. Der Gedanke gefiel mir. Andererseits konnte
ich Ganesh angesichts seines Gesundheitszustands im Augenblick nicht allein im Laden lassen. Ich würde sonntags
fahren müssen, wenn Dilip im Laden war und Ganesh mit
den Zeitungen aushalf.
»Wir müssen ein paar ernste Worte reden«, sagte ich zu
Tig. »Falls, und ich sage wirklich nur, falls ich diesen Auftrag übernehme, dann muss ich eine Reihe von Dingen wissen. Für den Anfang beispielsweise, warum du überhaupt
von zu Hause fortgegangen bist und warum du ganz plötzlich zurück willst. Versuch nicht, mir eine Geschichte zu erzählen. Ich gehe nicht blind in so eine Situation, okay? Noch
eine Sache, ich kann nicht einfach in einen Zug steigen und
nach Dorridge fahren. Angenommen, ich tauche dort auf
und deine Eltern sind einen Tag lang unterwegs? Oder sie
sind weggezogen, wie du bereits vermutet hast? Ich muss in
jedem Fall zuerst anrufen und eine Verabredung treffen. Sie
werden Fragen stellen. Noch etwas, weiß Jo Jo, was du vorhast? Was wird er tun, wenn du mir nichts, dir nichts verschwindest? Wird er dir folgen?«
»Kann er nicht«, antwortete sie rasch. »Er weiß nichts
von alledem oder wo meine Familie wohnt. Ich habe ihm
nie erzählt, wo ich herkomme, und er hat nicht gefragt. Diese Fragen stellt man nicht, weißt du?«
Sie hatte Recht. Die Obdachlosen respektierten ihre gegenseitige Privatsphäre und das Recht eines jeden, sich über seine
Vergangenheit auszuschweigen. Wenn man es jemandem erzählen wollte, prima. Wenn nicht, auch gut. Niemand bedrängt einen. Es ist eine Art ungeschriebenes Gesetz.
Sie beugte sich über ihre leere Tasse. »Wenn ich dir alles
erzähle, wirst du es dann tun?«
»Ich verhandele nicht«, sagte ich. »Ich nenne dir meine
Bedingungen. Entweder nimmst du sie an, oder du lässt es
bleiben.«
Der Kellner musterte uns mit merkwürdigen Blicken. Ich
sagte Tig, dass sie warten sollte, und ging zum Tresen, um
uns noch zwei Tassen Kaffee zu holen. Dank der Geometrie
des Lokals hatte sie keine Möglichkeit, an mir vorbei nach
draußen zu entschlüpfen, während ich nicht am Tisch saß.
Trotzdem behielt ich sie im Auge, nur für den Fall.
Sie hatte die Zeit meiner Abwesenheit genutzt, um die
Sache zu überdenken, und war zu einem Entschluss gekommen. »Also

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