Granger Ann - Varady - 04
durch den Briefschlitz, und schließlich kam Norman nach
draußen in den Flur geschlürft.
»Herein, meine Liebe!«, lud er mich ein. »Ich habe schon
auf dich gewartet. Du bist wegen des Zimmers gekommen,
schätze ich.« Er hatte eine schmuddelige Schürze über die
rote Jogginghose gebunden und sah aus, als wäre er in der
Küche gewesen.
»Na ja, äh, eigentlich nicht, Norman, nein«, stammelte
ich. »Ich bin noch am Überlegen, ehrlich gesagt.«
Er wirkte überrascht und gekränkt. »Ich hab das Zimmer
extra für dich freigehalten. Mehrere Leute waren in der Zwischenzeit da und interessieren sich dafür.«
So taktvoll ich konnte schlug ich vor, dass es vielleicht das
Beste wäre, wenn er das Zimmer an einen von ihnen vermietete.
»Norman, eigentlich bin ich nur hier, weil ich fragen wollte,
ob du mir in einer anderen Sache helfen kannst. Es geht um
eine Geschichte, die in den Zeitungen gestanden hat …«
Normans Miene hellte sich auf. »Warte, ich gehe nur eben
den Herd ausschalten, ja? Ich wollte mir nämlich eben ein
paar Pommes frites machen.«
Er trottete in Richtung seiner Küche davon. Ich ging in
das Zimmer zur Linken und starrte Schlimmes ahnend auf
die Stapel von Zeitungen, die überall herumlagen. Ich
wünschte, Norman hätte nicht erwähnt, dass er ausgerechnet Pommes frites machte. Heißes Fett ist eine der häufigsten Quellen für Brände in Haushalten.
»Weißt du, Norman«, sagte ich, als er zurück war, »du
solltest dir wirklich einen Rauchmelder in den Flur hängen.
Überleg nur, was wäre, wenn irgendwas passiert und deine
Zeitungssammlung zerstört würde! Was würdest du dann
machen?«
Er blickte mich entsetzt an. »Denk nicht mal daran, Liebes! Es wäre ein Desaster! Nun, ich habe sämtliche Zeitungen bis neunzehnhundertdreiundsiebzig.« Er schürzte die
Lippen. »Allerdings sind die älteren in dem anderen Zimmer.«
Er hatte noch einen Raum wie diesen? Norman dachte
offensichtlich über meinen Vorschlag mit dem Rauchmelder nach. »Ich schätze, das ist eine gute Idee, Liebes. Was
kann ich für dich tun? Magst du vielleicht einen Sherry?«
Ich lehnte dankend ab. »Vor kurzem gab es eine Geschichte wegen einer verschwundenen Krankenschwester«,
sagte ich.
Norman schnippte mit den Fingern. »Ich hab davon gelesen. Sie stand in sämtlichen Zeitungen. Möchtest du ein
Boulevardblatt oder eher eine nüchterne Tageszeitung?«
»Die mit dem vollständigsten Bericht bitte. Ach so, und
den Evening Standard von gestern Abend.«
Er bot mir einen Platz in einem alten Lehnsessel an und
machte sich daran, fröhlich in seinen Kisten und Kartons zu
kramen. »Ich hab ein unfehlbares Ablagesystem«, erzählte er
mir.
»Großartig, Norman«, sagte ich. Gott wusste, wie er seine
Zeitungen sortierte.
Schließlich kam er mit einem Arm voller Zeitungen zu
mir, und nachdem er sie alle durchsucht hatte, legte er mir
eine Auswahl hin. »Bist du sicher, dass du keinen Sherry
möchtest, während du die Berichte liest? Es könnte eine Weile dauern.«
Ich hatte mir bereits die erste Zeitung geschnappt und
überflog sie eifrig. Norman schien dies als Ja für sein Angebot zu nehmen, denn er nahm eine Flasche und zwei kleine
Gläser aus einem Wandschrank, der wahrscheinlich das einzige Möbel im gesamten Zimmer ohne Zeitungen darin war.
Ich las weiter, dann lehnte ich mich zurück. In meinem
Kopf jagten sich die Gedanken. LeeAnne Cooper, die verschwundene Krankenschwester, deren Mutter um Hilfe bei
der Suche gebeten hatte, war einunddreißig Jahre alt, geschieden und teilte sich eine Wohnung mit einer Kollegin.
Ihr früherer Mann arbeitete im Ausland. Die Polizei hatte
ihn aufgespürt und festgestellt, dass er nichts mit dem Verschwinden zu tun hatte. LeeAnne hatte keinen festen
Freund, doch sie galt als freundlich, kontaktfreudig und
kompetent. Sie hatte viel mit jungen Menschen und Wohlfahrtsorganisationen gearbeitet. Niemand konnte sich einen
Reim darauf machen, was passiert war. Einfach so zu verschwinden sah ihr überhaupt nicht ähnlich.
Dann, eine Zeile in einer einzigen Zeitung, die wie eine
Bombe unter all den anderen wirkte. Auf die Frage hin, ob
LeeAnne in letzter Zeit irgendwelche Sorgen zum Ausdruck
gebracht hätte, erwähnte ihre Mitbewohnerin, dass sie sich
mehrfach missmutig dahingehend geäußert hätte, dass sie
nicht genug Geld verdiente, um sich eine eigene Wohnung zu
kaufen. Einige allgemeine Betrachtungen über die schlechte
Bezahlung von Krankenschwestern schlossen sich
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