Granger Ann - Varady - 04
weggeworfene Zeitungen, hatte er mir einmal gesagt), suchte bei
Bushaltestellen und in Parks. Ganz oben auf seiner Liste
stand stets die Times , in der noch niemand sich am Kreuzworträtsel versucht hatte. Wenn Norman alle Zeitungen
hatte, ging er mit ihnen nach Hause und archivierte sie.
Nun ja, archivieren ist vielleicht ein wenig zu hochtrabend
ausgedrückt. Norman packte seine Zeitungen fein säuberlich in Schachteln. Das Erdgeschoss seines Hauses war voll
gestellt mit Stapeln von Zeitungsboxen, alle säuberlich
markiert mit Filzstift. Der erste Stock war vermietet, und
die Mieter sorgten sich möglicherweise wegen all dem
brennbaren Material, über dem sie schliefen, doch Norman
war ihr Vermieter, und die Mieter gehörten allgemein zu
der Sorte, die darauf achtete, keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Von außen sah das Haus aus, als würde es jeden Augenblick in sich zusammenfallen. Norman hatte es von seinen
Eltern geerbt. Er hatte sein ganzes Leben in diesem Haus
gewohnt. Was früher vielleicht einmal als Hobby angefangen hatte, war mit den Jahren zu einer Obsession geworden
– na und? Norman war ein Mann, der mit seinem Schicksal
zufrieden war.
Nur nicht in diesem Augenblick, auf Grund des hartnäckigen Fehlens einer aktuellen Ausgabe des Guardian.
»Hari hat vielleicht noch eine in seinem Laden«, sagte ich.
Doch Norman blickte mich nur viel sagend an und wies
mich darauf hin, dass er bei Hari für die Zeitung Geld bezahlen musste, oder vielleicht nicht?
Wir gingen gemeinsam die Straße hinunter, während es
rasch dunkler wurde.
»Wohnst du immer noch in der Garage?«, fragte er unvermittelt.
Das ist noch so eine Sache mit Norman. Man denkt, er
würde sich für nichts außer seinen Tageszeitungen interessieren. Doch er hat im Allgemeinen eine ziemlich genaue
Vorstellung von dem, was um ihn herum geschieht.
Ich sagte, dass ich noch in der Garage wohnte.
»Ich hab ein Hinterzimmer frei«, sagte er. »Sehr hübsch.
Geht in den Garten raus. Ein Fenster mit Ausblick, könnte
man sagen.«
Ich hatte Normans Garten gesehen; hohes Gras, verfilztes
Gebüsch, eine alte Außentoilette, von Efeu überwuchert
und, wie er behauptete, von einer Eule bewohnt, zerbrochenes Mobiliar und Ratten. Außerdem hatte ich von Zeit zu
Zeit auch einen Blick auf Normans Mieter erhascht, wenn
sie verstohlen aus dem Haus kamen oder hineingingen. Die
Gesellschaft der Ratten wäre noch angenehmer gewesen. Ich
dankte Norman und lehnte sein Angebot höflich ab. Er war
nicht beleidigt. An der Straßenecke trennten sich unsere
Wege. Norman ging weiter nach seinem Guardian suchen.
Ich kehrte zu Onkel Haris Laden zurück.
Hari war im Lagerraum, und Ganesh war allein vorne. Er
hatte die Arme auf den Tresen gestützt und las in Personal
Computer World . Er hatte sich die langen Haare mit einem
Gummiband zurückgebunden, doch eine Strähne hatte sich
gelöst und hing vor seinem Gesicht. Er studierte alles, was
mit neuer Technik zu tun hatte, und hätte wahrscheinlich
ein gutes Modell für Rodin abgegeben, falls dieser einen
weiteren Denker bildhauern wollte. Ganesh besaß keinen eigenen Computer, für den Fall, dass seine Besessenheit von
Computerzeitschriften bei Ihnen eine andere Vorstellung
erweckt haben sollte. Die einzige moderne Technik im Laden und auch oben in der Wohnung sind der Lotterieautomat und die Registrierkasse. Doch Jay, Ganeshs Schwager,
beschäftigt sich intensiv mit dem Internet, und Ganesh fühlt
sich ein wenig außen vor. Als er mich eintreten hörte, blickte er auf.
»Wo warst du denn den ganzen Tag?«, fragte er.
»Ich hatte ein paar geschäftliche Dinge zu erledigen«,
antwortete ich würdevoll.
Ganesh sah mich missbilligend an und stieß einen Seufzer
aus. »Wenn du glaubst, Fran, ich wüsste nicht, was du vorhast, dann bist du auf dem Holzweg.«
Ich musste ziemlich verblüfft ausgesehen haben, weil ich
keine Ahnung hatte, wie er es wissen konnte, obwohl ich
ihm nichts erzählt hatte.
»Du musst mich nicht so verängstigt ansehen«, fuhr er
fort. »Ich weiß natürlich nicht genau, was du gemacht hast.
Wie auch. Du erzählst mir ja schließlich nichts. Aber wenn
es das ist, was ich vermute, dann bringt es dich in Schwierigkeiten, und wenn du in Schwierigkeiten steckst, kommst
du angerannt und möchtest meine Hilfe.«
»Ich hasse es, wenn du so selbstgefällig bist«, sagte ich zu
ihm.
»Also habe ich Recht!«, krähte er.
»Das habe ich nicht gesagt! Ich habe nur gesagt, dass
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