Granger Ann - Varady - 04
»Wie Zog.«
Ich wollte nicht darüber reden, und Norman merkte, dass
es so war. Auf seine verschlagene Weise hatte er meinen Abgang beschleunigt, bevor ich das restliche Mobiliar beschädigen konnte. Nichtsdestotrotz bestand er auf dem Weg
nach draußen darauf, mir noch das Badezimmer zu zeigen.
Der versprochene Fluchtweg durch das Fenster auf das
Dach des Anbaus wurde durch die Tatsache erleichtert, dass
der Riegel gebrochen war und das Fenster, trotz der eisigen
Temperaturen draußen und dem Mangel an Heizung drinnen mit seiner Milchglasscheibe in einem verfaulten Rahmen permanent weit offen stand. Die riesige, uralte Emaillebadewanne stand auf vier gusseisernen Löwenpfoten und
war rings um den Abfluss herum verrostet und so zerfressen, dass ich unwillkürlich an Leichen denken musste, die in
dieser Wanne mithilfe von Säure aufgelöst wurden. Vielleicht hatte die Kälte den Bruch eines Wasserrohrs verursacht, das sich an der Wand über der Toilette hinzog und
seinen Inhalt tropfend auf einen hohen Packen überzähliger
Zeitungen leerte. Selbst Norman schien sich zu einem beruhigenden Kommentar genötigt zu fühlen.
»Das lasse ich bald reparieren, keine Sorge. Sidney oben
im Dachgeschoss ist ziemlich geschickt mit Werkzeugen,
weißt du?«
Ich fragte nicht, wo Sidney sein Geschick im Umgang mit
Werkzeugen erlernt hatte – wahrscheinlich beim Knacken
von Tresoren.
Ich wollte Norman nicht zu nahe treten, doch ich konnte
auf gar keinen Fall hier einziehen. Ich würde eher in einem
Hauseingang schlafen. Ich sagte, ich würde ihm Bescheid
geben. Er schien überrascht.
»Lass dir nicht zu lange Zeit«, empfahl er mir.
Ich war in meinem Leben noch nicht so froh, endlich aus
einem Haus zu kommen. Als ich auf dem nassen Bürgersteig stand, die frische Abendluft einatmete und dem
entfernten Lärm der Großstadt lauschte, fühlte ich mich wie
einer jener Gefangenen, die am Ende von Fidelio auf die
Bühne klettern.
Der Zeitungsladen von Hari erschien mir, als ich ihn endlich erreichte, wie ein Hafen der Normalität. Hari verkaufte einen Evening Standard , und Ganesh füllte den Kühlschrank mit
den kalten Getränken wieder auf. Bonnie schnarchte auf ihrem
Kartonlager im Abstellraum. Ich hätte sie alle küssen mögen.
Am nächsten Morgen stieg ich in den Zug nach Egham und
trottete den Hügel zum Hospiz hinauf. Die Beule auf meiner Stirn war zurückgegangen, und ich hatte die Vorsichtsmaßnahme ergriffen, mir ein wenig Make-up zu kaufen, um
den blauroten Fleck zu übertünchen, der sich im Verlauf
der Nacht gebildet hatte. Ich würde es eine Weile benutzen
müssen – ich wollte nicht, dass Ganesh mir unbequeme
Fragen stellte, ganz abgesehen von meiner Mutter. Falls es
ihr überhaupt auffiel.
»Wie geht es ihr?«, fragte ich Schwester Helen.
»Sie ist sehr still«, antwortete sie. »Sie schläft viel. Gestern
Abend hat sie von Ihnen erzählt.«
Ich schien sie verblüfft angestarrt zu haben, denn sie lä
chelte.
»Sie ist sehr glücklich, dass sie den Kontakt zu Ihnen wie
derherstellen konnte.«
»Sicher«, murmelte ich und fragte: »Was hat sie erzählt?
Über mich, meine ich?«
»Dass es schön wäre zu sehen, wie gut Sie zurechtkommen, und dass Sie eine neue Arbeit in Aussicht haben. Sie
hoffte, dass Sie heute wieder kämen und ihr über die neuesten Entwicklungen berichten, was auch immer sie damit
gemeint haben mag.« Bei diesen Worten hob Schwester Helen fragend eine Augenbraue.
Ich reagierte nicht auf die unausgesprochene Einladung.
Ich wusste, was meine Mutter hören wollte. Sie hoffte auf
die Nachricht, dass ich Nicola gesehen hätte. Ich fühlte lä
cherlicherweise Enttäuschung in mir aufsteigen. Laut dankte
ich Schwester Helen dafür, dass sie die Polizei auf Abstand
gehalten hatte.
»Wir sind schließlich dazu da, Ihrer Mutter die Dinge so
einfach wie möglich zu machen«, antwortete sie ruhig. »Es
ist doch wohl selbstverständlich, dass wir ihr jede Schikane
ersparen.«
Sie musterte mich mit einem harten Blick, und mir wurde klar, was sie mir sagen wollte. Auch ich hatte gefälligst
darauf zu achten, meine Mutter nicht unnötig aufzuregen.
Die Tatsache, dass sie annahm, ich könnte es tun, verriet
mir, wie misstrauisch sie mir gegenüber war. Ich wünschte,
ich hätte gewusst, wie weit Schwester Helen über diese Geschichte informiert war – in mir regte sich das eigenartige
Gefühl, dass sie mir etwas verheimlichte. Doch ich hoffte
vergeblich, dass sie von sich aus anfing zu reden.
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