Grant County 03 - Dreh dich nicht um
er.
»Ich dachte, du brauchst deinen Schlaf.« Sie ging zu ihm zurück und fischte aus seiner Jackentasche ein Paar Latexhandschuhe. »Also, worum handelt es sich hier?«, versuchte sie ihn abzulenken.
»So müde war ich gar nicht«, sagte er in dem leicht vorwurfsvollen Ton, dem sie heute Morgen bewusst aus dem Weg gegangen war.
Sie nestelte an den Handschuhen, während sie überlegte, was sie sagen sollte. »Ich musste die Hunde rauslassen.«
»Langsam könntest du sie wirklich mitbringen.«
Sara warf einen Blick auf den Streifenwagen. »Ist der neu?«, fragte sie mit gespielter Neugier. Grant County war klein. Sara hatte von dem neuen Streifenwagen gewusst, noch bevor er vor dem Revier stand.
»Ist vor ein paar Tagen gekommen.«
»Die Schrift sieht chic aus«, stellte sie sachlich fest.
»Was du nicht sagst«, antwortete er.
Doch Sara ließ ihn nicht so leicht davonkommen. »Da hat sich jemand richtig ins Zeug gelegt.«
Jeffrey sah sie blauäugig an. Sara hätte ihm seine Unschuld abgenommen, wenn er die gleiche Miene nicht auch beim letzten Mal aufgesetzt hätte, als er ihr beteuert hatte, er würde sie nicht betrügen.
Sie lächelte verkniffen und wiederholte: »Also, was ist hier passiert?«
Er schnaubte. »Schwer zu sagen. Sieh es dir selbst an«, sagte er und machte sich auf den Weg zum Fluss.
Sara eilte hinter ihm her. Sie spürte, dass er sich ärgerte, doch sie hatte sich noch nie von seinen Stimmungen einschüchtern lassen.
Sie fragte: »Ist es ein Student?«
»Wahrscheinlich«, sagte er kühl. »Wir haben in seinen Taschen nachgesehen. Er hatte keinen Ausweis dabei, aber diese Seite des Flusses gehört zum Campus.«
»Na, großartig«, seufzte Sara. Es würde wohl nicht lang dauern, bis Chuck Gaines auftauchte, der neue Sicherheitschef des College, und zu allem seinen Senf dazu gab. Für sie war Chuck nur eine Nervensäge, doch Jeffrey, als Polizeichef von Grant County, hatte Anweisung, nett zu den College-Leuten zu sein. Und das wusste Chuck, und er nutzte es aus, wann immer er konnte.
Sara bemerkte eine blonde junge Frau, die auf einem Stein saß. Neben ihr stand Brad Stephens, ein junger Polizist, den Sara noch vor ein paar Jahren in der Kinderklinik behandelt hatte.
»Ellen Schaffer«, erklärte Jeffrey. »Sie war im Wald joggen. Hat den Toten entdeckt, als sie die Brücke überquerte.«
»Wann hat sie ihn gefunden?«
»Ungefähr vor einer Stunde. Sie hat uns übers Handy verständigt.«
»Sie nimmt ihr Telefon mit zum Joggen?« Sara wunderte sich, warum sie das so überraschte. Die Leute nahmen ihr Telefon heutzutage schließlich auch mit aufs Klo.
Jeffrey sagte: »Ich werde später nochmal versuchen, mit ihr zu sprechen, wenn du dir die Leiche angesehen hast. Vorhin war sie zu durcheinander. Vielleicht schafft es Brad, sie zu beruhigen.«
»Hat sie das Opfer gekannt?«
»Sieht nicht so aus«, sagte er. »Wahrscheinlich war sie einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«
Die meisten Zeugen hatten dieses Pech. Sie bekamen für ein paar Sekunden etwas zu sehen, was sie den Rest ihres Lebens verfolgen würde. Anscheinend war das Mädchen hier aber noch glimpflich davongekommen, nach dem, was Sara von der Leiche unten im Flussbett bislang sehen konnte.
»Hier«, Jeffrey nahm Saras Arm, als sie an die Böschung kamen. Das Gelände war hügelig und fiel zum Fluss hin steil ab. Der Regen hatte einen Pfad in den Abhang gegraben, doch die Erde war locker und rutschig.
Sara schätzte, das Flussbett war hier mindestens fünfzehn Meter breit, doch das würde Jeffrey später nachmessen lassen. Der Boden unter ihren Füßen war ausgetrocknet, Staub wirbelte auf. Sie fühlte, wie Steinchen und Lehm in ihre Turnschuhe rutschten. Vor zwölf Jahren hätten sie an dieser Stelle bis zum Hals im Wasser gestanden.
Auf der Hälfte des Weges blieb Sara stehen und sah zur Brücke hinauf. Es war eine einfache Betonkonstruktion mit niedrigem Geländer. Darunter stand ein Sims hervor, und zwischen Sims und Geländer hatte jemand in schwarzen Buchstaben gesprayt: STIRB, NIGGER, daneben ein großes Hakenkreuz.
Sara hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund.
»Hübsch.«
»Nicht wahr?« Jeffrey schnitt eine Grimasse. »Der ganze Campus ist voll davon.«
»Seit wann geht das schon so?«, fragte Sara. Das Graffiti war verblasst, mindestens einige Wochen alt.
»Wenn ich das wüsste«, sagte Jeffrey. »Im College haben sie sich noch nicht mal dazu geäußert.«
»Wenn sie sich äußern würden,
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