Grant County 03 - Dreh dich nicht um
nicht«, sagte Jill erschrocken. »Es ist alles unter Verschluss. Andy hatte nur mit Abrechnungen, Terminen, Anrufen zu tun.« Ihre Stimme zitterte. »Nur Büroarbeiten, damit er tagsüber beschäftigt war.«
»Genauso war es auch im Labor«, erklärte Keller. »Er hatte ja gar nicht die Ausbildung, um in der Forschung zu arbeiten. Dafür haben wir Doktoranden.« Keller stützte die Hände auf die Knie. »Ich wollte ihn in meiner Nähe wissen, damit ich ein Auge auf ihn haben konnte.«
»Hatten Sie Angst, er könnte so etwas tun?«
»Nein«, sagte Jill. »Das heißt, ich weiß es nicht. Vielleicht hatte ich unterbewusst so ein Gefühl. Er hat sich in letzter Zeit ein bisschen seltsam benommen, als würde er etwas vor uns verbergen.«
»Wissen Sie, was das hätte sein können?«
»Keine Ahnung«, antwortete sie mit echtem Bedauern.
»Jungs in dem Alter sind schwierig. Mädchen übrigens auch. Der Übergang vom Teenagerdasein in die Erwachsenenwelt … Die Eltern sind für sie abwechselnd Fluch oder Segen, je nach Wochentag.«
»Je nachdem, ob er gerade Geld brauchte.« Jetzt lächelten die Eltern in wehmütiger Erinnerung.
»Haben Sie einen Sohn, Chief Tolliver?«, fragte Keller.
»Nein.« Jeffrey setzte sich auf. Die Frage war ihm unangenehm. Als er jünger war, hätte Jeffrey nie gedacht, dass er einmal ein eigenes Kind wollen würde. Da Sara keine Kinder bekommen konnte, hatte sich die Frage auch gar nicht gestellt. Doch seit dem letzten Fall, an dem er mit Lena gearbeitet hatte, hatte Jeffrey hin und wieder überlegt, wie es wohl wäre, Vater zu sein.
»Sie reißen einem das Herz aus der Brust«, flüsterte Keller und ließ den Kopf in die Hände sinken. Jill schien zu zögern, dann legte sie den Arm um ihn. Keller sah sie überrascht an.
Jeffrey wartete einen Moment, dann fragte er: »Hat Andy Ihnen angedeutet, dass er Schwierigkeiten hatte?« Beide schüttelten den Kopf. »Hat es irgendetwas oder irgendjemanden gegeben, der ihm zugesetzt haben könnte?«
Keller zuckte die Schultern. »Er war voll und ganz damit beschäftigt, seine Identität zu finden.« Er deutete in Richtung der Garage. »Deswegen haben wir ihm das Apartment gegeben.«
»Er hat sich sehr für Kunst interessiert«, sagte Rosen. Sie zeigte auf die Wand hinter Jeffrey.
Jeffrey warf einen Blick auf die Leinwand über dem Sessel. Es war die wenig plastisch wirkende Zeichnung einer nackten Frau, die auf einem Felsen lag. Ihre Beine waren weit auseinander gespreizt, das Geschlecht war das einzig Farbige auf dem Bild – es sah aus, als hätte sie einen Teller Lasagne zwischen den Schenkeln.
»Schön.«
»Er hatte wirklich Talent«, sagte Jill.
Jeffrey nickte, doch er dachte, nur eine liebende Mutter oder der Redakteur eines Pornomagazins konnte zu diesem Urteil kommen. Er sah Keller an. Der Vater wirkte verlegen.
»Hatte Andy Freundinnen?« So detailreich das Bild auch war, es schien, als hätte der Junge ein paar wichtige Teile übersehen.
»Nicht, dass wir wüssten«, sagte Jill. »Wir sahen nie, dass ihn jemand besuchte, aber die Garage ist ja auch hinterm Haus.«
Keller warf seiner Frau einen Blick zu. »Jill ist der Meinung, dass er vielleicht wieder Drogen genommen hat.«
Jeffrey sagte: »Wir haben ein paar Utensilien bei ihm im Zimmer gefunden. Zurechtgeschnittene Alufolie und eine Wasserpfeife. Doch es lässt sich nicht sagen, wann sie das letzte Mal benutzt wurde.«
Jill sank in sich zusammen, jetzt legte ihr Mann den Arm um sie und zog sie an seine Brust. Und doch schien zwischen ihnen ein Abgrund zu klaffen Jeffrey fuhr fort. »Doch sonst haben wir nichts gefunden, das auf Drogenkonsum schließen ließe.«
»Er hatte Stimmungsschwankungen«, sagte Keller.
»Manchmal war er zutiefst melancholisch. Mürrisch. Schwer zu sagen, ob es von den Drogen kam oder ob er einfach so war.«
»Ich habe das Piercing in seiner Braue gesehen.«
Keller rollte die Augen. »Ich hätte seine Mutter fast umgebracht.«
»Und in der Nase«, fügte Jill mit missbilligendem Stirnrunzeln hinzu. »Ich glaube, er hat sich vor kurzem sogar die Zunge piercen lassen. Er hat es mir nicht gezeigt, aber er hat dauernd darauf herumgelutscht.«
»Sonst noch was Ungewöhnliches?«
Brian Keller und Jill Rosen sahen ihn mit großen fragenden Augen an.
Jeffrey wechselte das Thema. »Wie war das mit dem Selbstmordversuch im Januar?«
»Im Nachhinein bin ich mir gar nicht sicher, ob es überhaupt ernst gemeint war«, sagte Keller. »Er wusste, dass
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