Grant County 03 - Dreh dich nicht um
Rosen bedeutete ihm, ihr durch den kurzen Flur ins Wohnzimmer zu folgen.
Wie die meisten Lehrbeauftragten wohnten sie am Willow Drive, einer Nebenstraße der Main Street, nicht weit von der Universität entfernt. Das College hatte einen Deal mit der Bank und konnte neuen Dozenten niedrig bezinste Eigenheimzulagen garantieren, sodass sie oft die hübschesten Häuser der ganzen Stadt bewohnten. Aber dies hier machte einen überraschend heruntergekommenen Eindruck. An der Decke waren feuchte Stellen vom letzten Regen, und die Wände hätten dringend einen neuen Anstrich gebraucht.
»Entschuldigen Sie die Unordnung«, sagte Jill Rosen leichthin.
»Ich will Ihnen keine Umstände machen.« Er fragte sich, wie man in einem solchen Durcheinander leben konnte. »Dr.
Rosen – «
»Jill.«
»Jill«, wiederholte er. »Sind Sie mit Lena Adams bekannt?«
»Der Frau von gestern?«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie sie vielleicht schon länger kennen.«
»Sie war in meiner Praxis. Sie hat mir die Nachricht von Andys Tod überbracht.«
Er sah ihr in die Augen, doch er kannte die Frau nicht gut genug um einzuschätzen, ob mehr hinter ihren Worten steckte, und wenn, was. Sein Bauch sagte ihm, dass Lena und Jill Rosen sich kannten, aber er war sich nicht sicher, ob das für den Fall von Bedeutung war.
»Setzen wir uns.« Jill zeigte auf das voll gestopfte Wohnzimmer.
»Danke«, sagte Jeffrey und sah sich um.
Anscheinend hatte sich Jill Rosen einmal viel Mühe mit der Einrichtung gegeben, doch das war viele Jahre her. Die Möbel waren geschmackvoll, aber alles war verwohnt. Die Tapete war alt, auf dem Teppich zeichneten sich ausgetretene Wege ab, so deutlich wie im Wald. Und selbst ohne die kosmetischen Mängel war es hier mit der Zeit einfach zu voll geworden. Bücher- und Zeitschriftenstapel türmten sich bedrohlich. Zeitungen von letzter Woche lagen zu Füßen des Sessels am Fenster verteilt. Im Gegensatz zum Haus der Lintons, wo mindestens so viel herumstand wie hier und es wahrscheinlich noch mehr Bücher gab, herrschte bei Andys Eltern eine drückende Atmosphäre, so als wäre hier seit langer Zeit keiner mehr glücklich gewesen.
»Wir haben gerade mit dem Bestattungsinstitut über die Beerdigung gesprochen«, erklärte Keller. »Jill und ich überlegen, was wir tun sollen. Mein Sohn hatte den Wunsch, eingeäschert zu werden.« Seine Lippe zitterte. »Ist das nach einer Autopsie überhaupt noch möglich?«
»Aber ja«, sagte Jeffrey, »natürlich.«
»Wir wollen seinen Wünschen gerecht werden, aber – «, sagte Jill Rosen.
Keller unterbrach sie. »Das war sein Wunsch, Jill.«
Jeffrey spürte die Spannung zwischen den beiden und hielt sich mit seiner Meinung zurück.
Jill deutete auf einen großen Sessel. »Bitte, setzen Sie sich doch.«
»Danke«, sagte Jeffrey und ließ sich auf der Sesselkante nieder, um nicht in den weichen Polstern zu versinken.
»Möchten Sie etwas trinken?«
Bevor Jeffrey etwas sagen konnte, antwortete Keller: »Ich nehme ein Wasser, bitte.«
Keller starrte zu Boden, bis seine Frau das Zimmer verlassen hatte. Er schien auf etwas zu warten, doch Jeffrey hatte keine Ahnung worauf. Als der Wasserhahn in der Küche lief, öffnete er den Mund, doch er sagte nichts.
Jeffrey begann: »Schönes Auto da draußen.«
»Ja«, stimmte Keller zu, die Hände im Schoß gefaltet. Seine Schultern hingen herab. Jeffrey bemerkte, dass Keller größer war, als es auf den ersten Blick schien.
»Haben Sie es heute Morgen gewaschen?«
»Andy hat den Wagen sehr gut gepflegt«, sagte er. Jeffreys Frage ließ er unbeantwortet.
»Sie arbeiteten im Fachbereich Biologie?«
»In der Forschung«, stellte Keller klar.
Dann sagte Jeffrey: »Falls Sie mir irgendetwas sagen
wollen …?«
Keller machte wieder den Mund auf, doch in diesem Moment kam Jill zurück und reichte ihrem Mann und Jeffrey ein Glas Wasser.
»Danke«, sagte Jeffrey und trank einen Schluck. Das Wasser roch unangenehm. Er stellte das Glas auf dem Couchtisch ab. »Ich weiß, dass Sie im Moment andere Sorgen haben. Doch ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen, danach werde ich Sie in Frieden lassen.«
»Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen«, sagte Keller höflich.
Jill Rosen sagte: »Ihre Leute waren gestern schon in Andys Wohnung, bis spät in der Nacht.«
»Richtig.« Im Gegensatz zu den Detectives aus dem Fernsehen ließ Jeffrey gern der Spurensicherung den Vortritt. Bei dem Flussbett, wo Andy gestorben war, war es etwas anderes
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