Grant County 03 - Dreh dich nicht um
nahm sie ein Ibuprofen ohne Wasser und verschluckte sich prompt.
»Alles okay?«, fragte Ethan.
»Alles in Ordnung«, hustete sie und klopfte sich auf die Brust.
»Hast du dich erkältet?«
»Nein«, antwortete sie und hustete noch einmal. »Wann geht die Party los?«
»Wahrscheinlich kommt sie gerade in die Gänge.« Er steuerte auf einen Fußweg zwischen den Büschen zu. Lena kannte die Abkürzung durch den Wald, die zu den Wohnheimen auf der Westseite des Campus führte, doch sie hatte keine Lust, nachts dort herumzulaufen, auch wenn der Mond schien.
Ethan drehte sich um, als sie ihm nicht folgte. »Es geht viel schneller hier lang.«
Lena widerstrebte es, irgendjemandem in die Dunkelheit, an einen abgeschiedenen Ort zu folgen. Auch wenn Ethan zu bereuen schien, dass er ihr wehgetan hatte, sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie unbeständig seine Sanftmut war.
»Komm schon«, sagte er und versuchte es mit einem Scherz. »Du hast doch nicht immer noch Angst vor mir, oder?«
»Leck mich am Arsch«, zischte sie und zwang ihre Füße zum Gehen. Sie steckte die Hände in die hinteren Taschen ihrer Jeans und hoffte, dass die Geste ganz natürlich wirkte. Ihre Fingerspitzen berührten das Klappmesser mit der zehn Zentimeter langen Klinge, das sie dabei hatte, und die Berührung flößte ihr Mut ein.
Ethan verlangsamte den Schritt, um neben ihr zu gehen.
»Arbeitest du schon lange hier?«
»Nein.«
»Wie lange?«
»Ein paar Monate.«
»Macht dir der Job Spaß?«
»Es ist nur ein Job.«
Dann schien er zu kapieren und lief schweigend weiter. Doch nach ein paar Minuten war er wieder neben ihr. Sie sah den Schatten seines Gesichts, konnte seine Miene jedoch nicht erkennen. Er klang ehrlich, als er sagte: »Es tut mir leid, dass dir der Film nicht gefallen hat.«
»Ist nicht deine Schuld«, sagte sie, obwohl er den französischen Film, im Original mit Untertiteln, ausgesucht hatte.
»Ich hatte gedacht, du stehst auf so was.«
Sie fragte sich, ob je ein Mensch so falsch gelegen hatte.
»Wenn ich lesen will, nehme ich mir ein Buch.«
»Liest du viel?«
»Nein.« In letzter Zeit hatte Lena sich von ein paar schwülstigen Liebesromanen in der Bibliothek mitreißen lassen. Sie versteckte die Bücher hinter dem Zeitungsregal, damit sie niemand auslieh, bis sie durch war. Lieber würde sie sich die Zunge abbeißen, bevor sie vor Nan Thomas zugab, was für einen Mist sie da las.
»Und wie ist es mit Filmen?« Ethan gab nicht so leicht auf.
»Was für Filme siehst du gerne?«
Lena versuchte, nicht zu genervt zu klingen. »Ich weiß nicht, Ethan. Die Sorte Filme, wo man kapiert, worum es geht.«
Diesmal hatte er verstanden und hielt den Mund. Lena sah zu Boden, um nicht zu stolpern. Heute Abend hatte sie ihre Cowboystiefel angezogen, doch sie war die Absätze nicht gewohnt, auch wenn sie nicht sehr hoch waren. Dazu trug sie Jeans und ein dunkelgrünes Hemd und hatte sogar Eyeliner aufgetragen, sozusagen als Zugeständnis an die wirkliche Welt. Die Haare trug sie offen – nur um Ethan zu zeigen, was sie von seiner Meinung hielt.
Ethan hatte weite Jeans an und wieder ein schwarzes T-Shirt mit langen Ärmeln. Es war offensichtlich ein frisches T-Shirt, denn es roch nach Waschmittel und Aftershave. Arbeiterstiefel mit Stahlkappen rundeten das Outfit ab. Wenn sie ihn im Wald verlor, könnte sie zumindest den tiefen Abdrücken seiner Schuhe folgen, dachte Lena.
Ein paar Minuten später erreichten sie die Lichtung hinter dem Studentenwohnheim der Männer. Das GIT war ein ziemlich altmodisches College. Es gab nur ein Gebäude, in dem Männlein und Weiblein gemischt wohnten, doch die Studenten in den anderen Häusern fanden Mittel und Wege, die strengen Hausregeln zu umgehen. So wusste jeder, dass der alte Mike Burke, der in den Häusern die Aufsicht führte, stocktaub war und Damenbesuche zu jeder Tag- und Nachtzeit überhörte. Heute hatten sie ihm anscheinend das Hörgerät geklaut und den armen Kerl noch dazu in einen Schrank gesperrt, dachte Lena. Die Musik, die aus dem Gebäude drang, war jedenfalls so laut, dass der Boden unter ihren Füßen vibrierte.
»Dr. Burke ist für eine Woche bei seiner Mutter«, erklärte Ethan grinsend. »Er hat uns die Telefonnummer dagelassen, falls wir ihn brauchen.«
»Wohnst du hier?«
Er nickte und ging auf das Haus zu.
Sie hielt ihn auf und versuchte, die Musik zu übertönen: »Tu einfach so, als wäre ich heute Abend dein Date, okay?«
»Du bist doch mein Date, oder
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