Grant County 05 - Gottlos
wollte.
Jeffrey wiederholte seine Frage. «Wie hat Paul reagiert, Terri?»
Terri legte die Hand auf Rebeccas Schulter. «Überhaupt nicht», sagte sie. «Ich dachte, er würde lachen, aber er hat gar nicht reagiert.»
Zum dritten Mal sah Jeffrey auf die Uhr, dann starrte er wieder die Sekretärin an, die über Pauls Büro auf der Farm wachte. Sie war weniger redselig als die in Savannah, schien aber den gleichen Beschützerinstinkt zu hegen, was ihren Boss anging. Die Tür hinter ihr stand offen, und Jeffreys Blick fiel auf zwei üppige Ledersessel und eine Glasplatte auf schwerenMarmorsäulen, die als Schreibtisch diente. Die Regalwand war mit ledernen Gesetzesbänden und Golftrophäen gefüllt. Terri Stanley hatte recht, als sie sagte, ihr Onkel lege Wert auf teures Spielzeug.
Pauls Sekretärin sah von ihrem Computer auf und sagte: «Paul wird gleich zurück sein.»
«Ich kann in seinem Büro auf ihn warten», schlug Jeffrey, nicht ohne Hintergedanken, vor.
Die Sekretärin lachte nur. «Nicht mal ich darf in sein Büro, wenn er nicht da ist», sagte sie und tippte weiter. «Sie warten am besten draußen. Er ist nur auf einen Sprung weg.»
Jeffrey verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Er wartete zwar erst seit fünf Minuten, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass er sich besser selbst auf die Suche nach dem Anwalt machte. Auch wenn die Sekretärin nicht zum Telefon gegriffen hatte, um ihren Boss vor dem Besuch des Polizeichefs zu warnen, Jeffreys weißer Lincoln mit den Regierungskennzeichen war nicht zu übersehen. Er hatte genau vor dem Haupteingang geparkt.
Als er wieder auf die Uhr sah, war eine weitere Minute verstrichen. Jeffrey hatte Lena bei den Stanleys gelassen, damit sie ein Auge auf die beiden Mädchen hatte. Er wollte vermeiden, dass Terri Gewissensbisse bekam und Dummheiten anstellte, zum Beispiel ihre Tante Esther anrief oder, noch schlimmer, ihren Onkel Lev. Den Mädchen gegenüber hatte Jeffrey gesagt, Lena bleibe zu ihrem Schutz da, und sie hatten das nicht hinterfragt. In der Zwischenzeit brachte Brad Dale aufs Revier, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, doch länger als einen Tag würden sie ihn nicht festhalten können. Jeffrey bezweifelte ernsthaft, dass Terri vor Gericht gegen ihn aussagen würde. Sie war kaum dreißig, hatte zwei kleine Kinder und keinerlei Berufsausbildung. Das Einzige, was Jeffrey tun konnte, war, Pat Stanley anzurufen und ihm zu sagen, er solle sich um seinenBruder kümmern. Würde es nach Jeffrey gehen, hätte er Dale längst auf den Grund eines Steinbruchs befördert.
«Reverend Ward?», rief die Sekretärin, und Lev streckte den Kopf zur Tür herein. «Wissen Sie, wo Paul ist? Er hat Besuch.»
«Chief Tolliver», begrüßte ihn Lev und kam herein. Er trocknete sich die Hände mit einem Papierhandtuch ab, wahrscheinlich kam er gerade von der Toilette. «Ist was nicht in Ordnung?»
Jeffrey musterte den Mann. Er konnte immer noch nicht ganz glauben, dass Lev nichts von allem gewusst haben sollte. Rebecca und Terri hatten darauf beharrt, dass er vollkommen ahnungslos war, andererseits war Lev unverkennbar das Oberhaupt der Familie. Dass Paul seine Machenschaften direkt vor der Nase des älteren Bruders trieb, ohne dass der etwas bemerkte, war schwer vorstellbar.
Jeffrey sagte: «Ich suche Ihren Bruder.»
Lev sah auf die Uhr. «Wir sind in zwanzig Minuten verabredet. Weit kann er nicht sein.»
«Ich muss ihn sofort sprechen.»
Lev bot an: «Kann ich Ihnen vielleicht helfen?»
Jeffrey war froh, dass er so umgänglich war. Er schlug vor: «Gehen wir in Ihr Büro.»
«Hat es mit Abby zu tun?», fragte Lev, als sie durch den Flur in den hinteren Teil des Gebäudes gingen. Er trug ausgewaschene Jeans, ein Flanellhemd und abgewetzte Cowboystiefel, deren Sohlen mindestens ein Dutzend Mal erneuert worden waren. Am Gürtel hatte er eine Lederscheide mit einem ausziehbaren Teppichmesser.
«Sie verlegen Teppich?», fragte Jeffrey argwöhnisch. Teppichmesser hatten eine extrem scharfe Klinge und konnten so gut wie alles durchschneiden.
Lev schien verwirrt. «Was?» Er blickte an sich hinunter und schien überrascht, als er das Messer sah. «Habe Kisten aufgemacht»,erklärte er dann. «Freitags kommen die Lieferungen.» Er blieb vor einem Büro stehen. «Da wären wir.»
Jeffrey las das Schild an der Tür. «Lobet den Herrn und tretet ein!»
«Meine bescheidene Stube», sagte Lev.
Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte er keine Sekretärin, die die
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