Grant County 05 - Gottlos
ihm vorging. «Was meinen Sie, Reverend Ward?»
Lev atmete langsam aus, als hätte er Mühe, das alles zu begreifen. «Wir müssen sie finden. Sie ist immer in den Wald gelaufen – mein Gott, der Wald …» Er wollte schon aus der Tür stürmen, doch Jeffrey hielt ihn zurück.
«Sie ist in Sicherheit», sagte er.
«Wo ist sie?», fragte Lev. «Bringen Sie mich zu ihr. Esther ist außer sich.»
«Sie ist in Sicherheit», entgegnete Jeffrey nur. «Unser Gespräch ist noch nicht beendet.»
Lev schien einzusehen, dass er erst an Jeffrey vorbeimusste, wenn er hinauswollte. Wahrscheinlich hätte Jeffrey ihn im Zweikampf besiegt, trotzdem war er froh, dass Lev es nicht darauf ankommen ließ.
Lev bat: «Können Sie wenigstens ihrer Mutter Bescheid geben?»
«Das habe ich schon getan», log Jeffrey. «Esther ist froh und erleichtert.»
Lev beruhigte sich ein wenig, doch trotz der guten Nachricht runzelte er die Stirn. «Das alles muss ich erst mal verdauen.» Er hatte die Angewohnheit, an der Unterlippe zu nagen, genau wie seine Nichte. «Warum haben Sie nach meiner Frau gefragt?»
«Hatte Sie ein Haus in Savannah?»
«Natürlich nicht», gab er zurück. «Stephanie hat ihr ganzes Leben hier verbracht. Sie ist nie in Savannah gewesen.»
«Seit wann arbeitet Paul dort?»
«Seit sechs Jahren vielleicht, mehr oder weniger.»
«Warum Savannah?»
«Viele unserer Groß- und Einzelhändler sitzen dort. Paul trifft sich regelmäßig mit den Leuten.» Er schien ein schlechtes Gewissen zu haben, als er erklärte: «Paul langweilt sich bei uns auf der Farm. Er muss ab und zu Stadtluft schnuppern.»
«Seine Frau begleitet ihn nicht?»
«Er hat sechs Kinder», entgegnete Lev. «Er verbringt durchaus Zeit zu Hause.»
Jeffrey bemerkte, dass Lev die Frage falsch verstanden hatte. In dieser Familie war es anscheinend normal, wenn Männer ihre Frauen jede zweite Woche mit den Kindern allein zu Hause ließen. Jeffrey konnte sich gut vorstellen, dass Männern ein solches Arrangement gefiel, doch er kannte keine Frau, die das freiwillig mitmachen würde.
Er fragte: «Waren Sie je bei ihm in Savannah?»
«Häufig», antwortete Lev. «Er wohnt in einer Wohnung über dem Büro.»
«Nicht am Sandon Square?»
Lev lachte laut. «Wohl kaum», sagte er. «Das ist die teuerste Straße der ganzen Stadt.»
«Und Ihre Frau ist nie dort gewesen?»
Wieder schüttelte Lev den Kopf. Er klang etwas gereizt, als er sagte: «Ich habe all Ihre Fragen nach bestem Wissen beantwortet. Können Sie mir nicht endlich sagen, worum es hier überhaupt geht?»
Jeffrey beschloss, Lev entgegenzukommen. Er zog die Originale der Versicherungspolicen aus der Tasche und reichte sie Lev. «Die hat Abby Rebecca hinterlassen.»
Lev faltete die Papiere auseinander und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. «Was meinen Sie mit ‹hinterlassen›?»
Jeffrey schwieg, doch Lev achtete schon nicht mehr auf ihn. Er beugte sich über den Tisch und fuhr beim Lesen mit dem Finger die Zeilen nach. Jeffrey sah, wie er die Kiefer zusammenpresste, die Wut, die aus seiner Haltung sprach.
Dann richtete Lev sich auf. «Diese Leute haben bei uns auf der Farm gelebt.»
«Das stimmt.»
«Der hier.» Er hielt ein Blatt hoch. «Larry ist fortgegangen. Cole hat gesagt, er sei fortgegangen.»
«Er ist tot.»
Lev starrte Jeffrey verständnislos an.
Jeffrey nahm seinen Notizblock heraus und las vor: «Larry Fowler starb am 28. Juli letzten Jahres an einer Alkoholvergiftung. Der Gerichtsmediziner von Catoogah County kam um 21 : 50 Uhr, um ihn abzuholen.»
Ungläubig starrte Lev vor sich hin. «Und der hier?» Er hielt eine Seite hoch. «Mike Morrow. Letztes Jahr hat er den Traktorgefahren. Er hatte eine Tochter in Wisconsin. Cole hat gesagt, er wäre zu ihr gezogen.»
«Überdosis. 13. August, 00 : 40 Uhr.»
«Aber warum hat Cole behauptet, sie wären weggegangen, wenn sie gestorben sind?»
«Sonst hätte er irgendwie erklären müssen, warum in den letzen zwei Jahren so viele Leute auf der Farm gestorben sind.»
Lev überflog die Seiten der Policen. «Sie meinen … Sie meinen, sie sind …»
«Ihr Bruder ist für die Einäscherung von neun Leichen aufgekommen.»
Lev war bereits blass geworden, doch als ihm klar wurde, was Jeffrey da sagte, wurde er kreidebleich. «Diese Unterschriften», stammelte er und betrachtete die Dokumente. «Das ist nicht meine», sagte er und zeigte auf eine der Seiten. «Und das», sagte er, «das ist nicht Marys Unterschrift. Sie ist
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