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Grappa 02 - Grappas Treibjagd

Grappa 02 - Grappas Treibjagd

Titel: Grappa 02 - Grappas Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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sie zur Frau nahm.
    Zur Hochzeit wurde auch der Vater der Mausehaut eingeladen, der seine Tochter nicht erkannte. Beim Hochzeitsmahl wunderte er sich, dass alle Speisen ungenießbar waren, weil ihnen das Salz fehlte. ›Ich will lieber nicht leben, als solche Speisen essen‹, rief der Vater aus. Die Tochter gab sich zu erkennen. Jetzt verstand der König, und er bat sie um Verzeihung.«
    Ellenbogen machte eine Pause und blickte ins Publikum, das ihm gebannt gelauscht hatte. Hatte ja auch einen bestimmten altertümlichen Reiz, diese Vater-Tochter-Beziehung. Ich war gespannt, wie er die Geschichte interpretieren würde. Mir kam die Story wie ein gescheiterter sexueller Missbrauch vor.
    »Der König ist nicht in der Lage, auf emotionale Angebote auch gefühlsmäßig zu reagieren, sondern agiert eindimensional sachlich«, hörte ich den Professor sagen, »die Tochter wird aus ihrer Kindhaltung abrupt herausgezwungen und muss einen eigenständigen autonomen Reifungsprozess wählen, der sie – mit schmerzlichen Erfahrungen zwar – aus der abhängigen Haltung löst.«
    Das Publikum nutzte die Kunstpause, um die üblichen Schnaufer und Huster abzulassen. Ich spürte, wie sein Blick an mir hängen blieb und drückte mich ungewollt tiefer in den Stuhl.
    »Dass die Prinzessin das Kleid einer Maus wählt – dieses leise huschende, unauffällige Tier – ist eine Metapher für Angstempfinden, für ein mangelndes Bekenntnis zum eigenen Körper, es bedeutet auch Angst vor dem Frau werden. Erst die Enttarnung durch den jungen König lehrt die Prinzessin, ihre weibliche Identität zu akzeptieren. Dies wiederum gibt ihr Mut, sich dem Vater zu offenbaren, seinen Kontakt wieder zu suchen.«
    »Wunderbar«, flüsterte die Asthmatikerin neben mir, »ganz wunderbar, dieser Mann. Finden Sie nicht auch?«
    Ich bemerkte, dass ich gemeint war, und säuselte zurück: »Mir ist die Interpretation nicht feministisch genug, in dem Märchen steckt doch jede Menge Sex. Und zwar zutiefst frauenfeindlicher Sex!«
    Sie schaute mich pikiert an und gab den Dialog-Versuch auf. Aus der Zuhörerschaft wurden noch ein paar Fragen gestellt, die der Referent beantwortete, doch lange dauerte das Ganze nicht mehr. Die ersten Kindergärtnerinnen gingen schon. Ellenbogen spürte, dass das Interesse erlahmt war, verabschiedete sich und erntete einen donnernden Applaus. Die Show war zu Ende. Ich stand auf und guckte nach Lämmchen. Er war nicht da. Ich fand ihn im Foyer, wo er mit Frau Engler sprach, wie ich verblüfft feststellte.
    »So trifft man sich wieder!«, plapperte ich drauflos und stellte mich neben die beiden.
    »Was machen Sie denn hier?«, meinte die Engler und bekam wieder diesen hektischen Hals mit den roten Flecken.
    »Ich versuche mir ein Bild von Herrn Ellenbogen zu machen. Er soll Mann des Jahres des ›Bierstädter Tageblattes‹ werden. Deshalb beobachte ich ihn.«
    »Weiß er das denn?«, fragte sie.
    »Nein, aber Sie können es ihm ja sagen, Sie kennen ihn doch so gut«, lächelte ich sie an.
    »Ich kenne ihn nur flüchtig, das habe ich Ihnen schon mal gesagt!«, fauchte sie mich an. Lämmchen stand dabei und guckte nur.
    »Ich weiß, Sie haben ihn vor drei Monaten das letzte Mal gesehen. Hier, schauen Sie mal!« Ich reichte ihr einige der Fotos aus dem »Pinocchio«.
    Die Aktion kam an. Sie erbleichte, als sie sich und Ellenbogen in trauter Zweisamkeit beim Italiener sitzen sah.
    »Das ist noch keine Woche her!«, erklärte ich ihr.
    »Na und? Bin ich verpflichtet, Ihnen überhaupt eine Frage zu beantworten, Sie Journalistin?«
    Sie sprach meine hehre Berufsbezeichnung mit Ekel in der Stimme aus. So, als würde ich mein Leben damit fristen, Kindern den Hintern abzuwischen.
    Sie warf die Fotos auf den Boden. Dann drehte sie sich herum und tippelte auf hohen Absätzen durch die Tür.
    »Wie können Sie mit der Frau nur reden?«, wollte ich von Agnus wissen. »Immerhin haben Sie ihr die paar Tage in Untersuchungshaft zu verdanken!«
    »Frau Engler hat mich angesprochen«, entschuldigte er sich, »immerhin müssen wir ja weiter zusammenarbeiten, und da ist eine offene Aussprache immer besser.« Die Zeichen standen auf laue Verbrüderung.
    Ich bückte mich, um die Fotos aufzuheben. Lämmchen krabbelte ebenfalls nach ihnen.
    »Guten Abend«, sagte eine Stimme über uns, »was sind das für Bilder?«
    Ich hatte meinen Feind im Rücken nicht kommen hören. Ich reichte Ellenbogen die Abzüge. Er schaute sie sich an, und in seinem Gesicht

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