Grappa 02 - Grappas Treibjagd
besucht. Ich soll dich von ihr grüßen.«
Ich wartete die Reaktion ab. Ihre Miene blieb neutral. »Mama? Ist sie noch krank?«
»Wieso krank?«
»Sie säuft wie ein Loch, hat Papa immer gesagt. Laura sagte aber, dass Mama krank ist.«
»Deine Mama ist krank, weil sie ein bisschen zu viel trinkt. Willst du irgendwann mal wieder zurück zu deinen Eltern?«
»Nein. Ich will neue Eltern, du hast es mir doch versprochen. Wie lange dauert es?«
»Beate, das dauert noch etwas. Es soll ja auch eine nette Familie sein, die ein schönes Haus hat und gut zu dir ist.«
Ich kramte die »Prinzessin Mausehaut« aus der Tasche. »Hier! Damit das Warten nicht zu lange dauert. Ich habe dir deine ›Prinzessin Mausehaut‹ mitgebracht.« Ich hielt ihr die Puppe hin.
Ihr Blick wurde panisch. »Nein, ich will sie nicht«, schrie sie, »nimm sie weg, ich will sie nicht!« Sie sprang von meinem Schoß auf, als sei sie von einer Wespe gestochen worden und lief in Richtung Tür.
»Ist ja gut, Beate. Ich nehme sie wieder mit. Aber – warum willst du sie denn nicht?«
Ich bekam keine Antwort. »Hör zu, Beate. Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht ärgern mit der doofen Puppe. Ich nehm sie wieder mit. Ist jetzt wieder alles gut?«
Sie nickte, kam wieder auf mich zu und schob ihre Hand in meine. Mir wurde ganz warm ums Herz. Plötzlich wusste ich, warum ich so viel Angst vor dem Besuch gehabt hatte. Ich hatte Angst davor, Verantwortung für einen Menschen zu übernehmen, der Hilfe braucht.
Nun war es passiert. Ich hatte zahlreiche Versprechungen gegeben und würde sie halten müssen. Wenn ich es nicht täte, würde ich eingereiht in die Galerie von Erwachsenen, die dieses kleine Mädchen enttäuscht hatten.
Buntglas gegen ungebetene Gäste
Das Muttermal war endlich ein Lichtblick in meinen Recherchen. Ich würde Professor Ellenbogen anrufen, einen Termin mit ihm machen, ihm die Hosen herunterziehen, anklagend auf das Kleeblatt deuten und ihn entlarven. Ganz einfach also.
Ich saß in meinem Auto. Es hatte angefangen zu regnen. Die Sicht war schlecht auf der Autobahn Richtung Bierstadt. Im Radio grölten die nervenden Top-Ten-Interpreten, der Rhythmus klopfte wie ein Hammer auf meinem Schädel herum.
Danach stellte ein ätzend gut gelaunter Radio-Moderator die Hörerfrage: »Vervollständigen Sie folgendes Wort: Lapperschlange!«
Als eine Anruferin »Plapperschlange« als Lösungswort anbot, stopfte ich Mozarts Hornkonzerte in den Rekorder. Wenigstens leise und melodisch.
Ich überlegte, ob ich das Kleeblatt in meinem Bericht erwähnen sollte. Lieber nicht, ich wollte die kleine Beate nicht in Gefahr bringen. Die Polizei wusste von dem Merkmal nichts, denn in Lauras Akte hatte ich eine Kopie der polizeilichen Vernehmung gefunden. Kein Wort stand davon drin. Das Kleeblatt war mein Trumpf bei der Identifizierung des Täters!
Da war die Ausfahrt nach Bierstadt. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonnenstrahlen machten den frühen Abend wieder freundlicher.
Ich würde heute Abend noch mit meinem Artikel für die Samstagsausgabe beginnen. Jetzt, wo die Eindrücke noch frisch und gegenwärtig waren. Der Besuch bei Beate war besser gelaufen, als ich gedacht hatte.
Ich bog in meine Straße ein, fuhr den Wagen in die Garage und betrat den Fahrstuhl. Meine Nachbarin stieg im dritten Stock zu. »Hat der Mann Sie erreicht?«, fragte sie.
»Welcher Mann? Ich war den ganzen Tag nicht da!«
»Ein gut aussehender großer Mann, helle Haare, fuhr einen Mercedes …«
»Kenne ich nicht. Hat er seinen Namen gesagt?«
»Nein, er stand schon vor Ihrer Wohnungstür, als ich aus meiner Tür guckte. Er sagte, er sei ein Freund von Ihnen, wollte wissen, wann Sie wiederkämen.«
»Und? Was haben Sie gesagt?«
»Jeden Augenblick, hab ich gesagt. Aber warten wollte er nicht. Ist dann schnell verschwunden, in dem Mercedes, hab's vom Fenster aus gesehen.«
Gut, dass ich neben einer begnadeten Spionin wohnte.
»Was ist eigentlich mit Ihrer Tür? Da ist ja ein Loch genau oben am Türgucker!«
»Da hat jemand reingeschossen, der mich umbringen wollte.«
Sie lachte. »Frau Grappa, Sie erzählen immer Geschichten! Wenn ich das nun alles glauben würde. Und der Mann, der heute da war, war der Mörder, der's noch mal probieren wollte«, kicherte sie, »Sie sind vielleicht eine!«
»Frau Sander, Sie haben den kriminalistischen Scharfblick!«
Wir lachten beide. Ich sagte »Tschüss« und trat durch meine Wohnungstür. Der Mann musste Ellenbogen
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