Grappa 02 - Grappas Treibjagd
Kick fehlte noch.
»Wie wäre es denn, Peter, wenn wir auf derselben Seite noch ein Foto von Ellenbogen einklinken? Mit einem kleinen Hinweis auf die hervorragende Arbeit des ›Infozentrums für Kindheit und Sexualität‹? Ganz unschuldig und zufällig?«
»Könnte klappen. Das bringt ihn zur Weißglut«, gab Jansen zu, »die Idee ist brillant. Nur er allein versteht, was es zu bedeuten hat. Die anderen merken nichts. Und er kann sich noch nicht einmal darüber beschweren. Das ist gut! Genau so machen wir es.«
»Okay. Hoffentlich komme ich an das Kind heran. Hauptsache, die Kleine ist nicht so gestört, dass mein Auftauchen ihr Angst macht!«
Mein körperlicher Zustand befand sich inzwischen wieder im Normalbereich. Ich schminkte mich sorgfältig, während Peter Jansen den Abwasch erledigte. Er konnte es besser als ich.
Mauern um »Haus Sonnenschein«
Agnus Naider zierte sich zwar, rückte aber dann doch die Besuchsgenehmigung heraus, rief sogar noch bei der Leiterin des Kinderheims an und kündigte mein Kommen an. Natürlich nicht als Journalistin, sondern als Kollegin. Im Gepäck hatte ich die Puppe mit dem Namen »Prinzessin Mausehaut«, Peter Jansens kleinen Fotoapparat und mein Diktiergerät.
Der Besuch bei dem Kind erschien mir noch schwieriger als der bei den Eltern. Die waren Täter, das Kind ihr Opfer. Wie sollte ich mit dem Mädchen dieses schreckliche Thema besprechen? Einfach drauflos oder um fünfzehn Ecken? Ich hatte keine Ahnung, nahm mir vor, mich auf meine Intuition zu verlassen.
Leider hatte ich so gut wie keine Erfahrung mit Kindern, bei den Kindern der Kollegen und Bekannten war ich als eingefleischter »Kinderschreck« verschrien. Zu Unrecht übrigens. Ich mag Kinder sehr gern, sie müssen nur leise sein, mir aufs Wort folgen und nach einem angemessenen Zeitraum wieder verschwinden. Und der liegt etwa bei zehn Minuten.
Ich machte meinem Auto Feuer unterm Hintern. Der Japaner war Stadtverkehr gewohnt, und jetzt konnte ich ihn mal richtig durchtreten. Autobahn Richtung Sauerland, bei Lüdenscheid ab und immer gerade aus. Durch ein paar Sauerländer Käffer, an einer alten Eisengießerei und einer Forellenzucht vorbei, dann links ohne Ende durch die Karpaten. Irgendwo sollte dann rechts ein dezenter Hinweis in Form eines Schildes sein: »Haus Sonnenschein«. Die Sonne schien tatsächlich aus Leibeskräften, das Wetter war viel zu schön, um sich mit diesen widerlichen Themen zu beschäftigen. Durch das geöffnete Autofenster roch ich Sommeräpfel und Heu. Ich hätte lieber in einem der vorbeirauschenden Landgasthöfe ein ausgiebiges Mittagessen eingenommen und es mit einem Schokoladeneisbecher mit viel Sahne gekrönt. Doch das Leben war heute gnadenlos zu mir.
Da war das Hinweisschild! Ein enger Feldweg führte zu einem dreistöckigen, weiß getünchten Gebäude, das von einer großen Mauer umgeben war. Damit niemand abhauen oder damit niemand einsteigen konnte? Ich wusste es nicht. Auf den Stacheldraht hatte man verzichtet, und Selbstschussanlagen waren auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Wer dieses Haus mit »Sonnenschein« in Verbindung gebracht hatte, war ein Meister des Zynismus! Vor dem schmiedeeisernen Tor eine Sprechanlage mit Klingel. Ich drückte. Die Automatenstimme fragte mich: »Ja, bitte?«
»Grappa vom Jugendamt«, log ich. »Ich bin angemeldet.«
Nach einer Weile schob sich das Tor automatisch auf, und ich konnte hineinfahren. Ich folgte dem blauen P auf den dazugehörigen Platz und ging aufs Hauptportal zu. Der lockere Kies knirschte unter meinen Schritten. Ein gepflegter Garten mit viel Rasen und einigen Gewächsen, die ich von Friedhöfen kannte. Sie standen hoch aufgerichtet wie die Soldaten. Der Rasen war perfekt grün und kurz gehalten und sah nicht so aus, als habe er jemals Bekanntschaft mit Kinderfüßen gemacht.
Die Direktorin von »Haus Sonnenschein« hieß Alraune Knittering. Doktor Knittering. Sie erwartete mich am Empfang.
»Guten Tag, Frau Grappa!«, begrüßte sie mich freundlich. »Haben Sie den Weg gut gefunden? Sie waren doch noch nicht bei uns, wenn ich mich nicht irre?«
»Nein, ich war noch nie hier. Ich hospitiere gerade beim Bierstädter Jugendamt und schreibe eine Doktorarbeit über Kindesmissbrauch.« Die Lügen kamen mir mühelos über die Lippen.
»Das habe ich schon von Herrn Naider gehört. Wer ist Ihr Doktorvater, vielleicht kenne ich ihn?«
Schluck. Ja, wer war denn nun mein Doktorvater?
»Prof. Dr. Dr. Peter Jansen von der
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