Grappa 06 - Grappa und der Wolf
dass der moderne Journalismus sich nicht am Schreibtisch erledigen lässt, dass es nicht ausreicht, über eine Meldung der Ortskrankenkasse eine Überschrift zu setzen oder das zu veröffentlichen, was der Oberbürgermeister von sich gibt. Wir danken dir nicht nur, sondern wir beten dich geradezu an. Immerhin führst du uns jeden Tag vor Augen, was für kleinkarierte und unfähige Arschlöcher wir alle sind.«
»Bist du jetzt fertig?« Ich war betroffen von Jansens Gefühlsausbruch. Was war los mit ihm?
»Ja. Fix und fertig.« Es klang traurig.
»Was ist passiert?«
»Ich schaffe es nicht.« Jansen ließ sich in einen Stuhl fallen und atmete schwer. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
»Hast du wieder getrunken?«
»Gestern Abend«, kam es leise, »meine Frau und die Kinder waren nicht da, die Wohnung war leer. Ich wollte frische Luft schnappen und bin schnurstracks in die nächste Kneipe marschiert. Das war's dann.«
»War es viel?«
»Drei Bier.«
»Das geht doch noch«, versuchte ich ihn zu trösten.
»Du hast keine Ahnung, Grappa.« Er rappelte sich aus dem Stuhl hoch und ging mit gesenktem Kopf Richtung Tür.
»Kümmere dich um deine Story«, meinte Jansen, die Klinke bereits in der Hand, »meine Rückendeckung hast du. Knall geht morgen in Urlaub, auf den brauchst du keine Rücksicht zu nehmen.«
»Klar, Peter«, sagte ich, »wir beide schaukeln das Kind schon.«
»Das tun wir, Grappa!« Weg war er.
Ich blieb noch eine Weile untätig am Schreibtisch sitzen. Dieser Job schafft jeden früher oder später, dachte ich. Hoffentlich war ich erst später an der Reihe.
Irgendwas stimmte mit diesem Beruf nicht. War es die Lücke, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffte? Oder die persönliche Unzulänglichkeit der Menschen, die diesen Beruf ausübten? Jeden Tag Manövriermasse der Reichen und Mächtigen zu sein, diesen Druck hielten nur die Starken aus. Ich gehörte noch zu ihnen, auch wenn ich dadurch oft in persönliche Schwierigkeiten gestürzt worden war. Das Leben ist schön, auch wenn die Welt schlecht ist, dachte ich. Hilfe ohne Grenzen – ich komme!
Eine spanische Firma und Kekse mit Mandeln
Hilfe ohne Grenzen – kurz HoG – war juristisch gesehen eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zwei der Gesellschafter waren Hermann Lasotta und seine Gattin Luise. Bis dahin noch nichts Ungewöhnliches. Der Handelsregisterauszug barg aber eine faustdicke Überraschung. Eine Firma mit dem Namen Puerta del Sol hatte ebenfalls Einlagen bei HoG. Ihr Sitz war nicht nur in Spanien, wie der Name vermuten ließ, sondern sogar in Toledo. Ich hatte die Verbindung von HoG nach Toledo gefunden!
Mir sausten Begriffe wie »Waffenhandel, Geldwäsche, Mafia, Drogen« durch das Hirn. Jetzt verstand ich auch, warum das Bundeskriminalamt die Ermittlungen an sich gezogen hatte. Carmen Roja musste die verschwundene BKA-Agentin sein, von der mir Liliencron erzählt hatte!
Ich berichtete Peter Jansen von der neuesten Entwicklung. Er hatte sich wieder gefangen, thronte hinter seinem gläsernen Schreibtisch, als sei nichts gewesen – vor sich eine Tasse pechschwarzen Kaffee und Mandelplätzchen. Ohne dass ich es wollte, griffen meine Finger nach dem Gebäck. Ich dachte an Jansens Beschreibung seines gestrigen Rückfalls. Seine Schritte hatten ihn in eine Kneipe geführt.
Die Kekse waren zart und zergingen auf der Zunge. »Und? Was sagst du?«, kaute ich.
»Wir müssten an die Kontobewegungen der HoG herankommen«, grübelte Jansen, »dann hätten wir wenigstens Fakten. Alles andere sind nur Vermutungen, Verdachtsmomente, die für eine harte Story nicht ausreichen. Wir warten noch. Hast du schon mit der Witwe Lasotta geredet?«
Ich schüttelte den Kopf. »Tu ich noch. Außerdem werde ich meinen Telefonkiller ein bisschen löchern, wenn er sich noch mal meldet.«
»Wie kriegen wir einen finanziellen Überblick?«
»Keine Ahnung«, knusperte ich, »ich lass mir was einfallen. Ich habe noch was vergessen. Ich dachte immer, die HoG sei gemeinnützig. Das war ein Irrtum. Sie ist ein ganz normales Wirtschaftsunternehmen, arbeitet hoch kommerziell. Leider weiß das in Bierstadt niemand so recht.«
»Einige Spender wissen das bestimmt«, widersprach Jansen, »weil sie nämlich ihre guten Taten nicht von der Steuer absetzen können.«
»Können sie doch. Es gibt noch einen gemeinnützigen Trägerverein, an den vermutlich die Spenden fließen.«
»Meine Hochachtung!«, rief Jansen aus. »Die Brüder haben aber
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