Grappa 06 - Grappa und der Wolf
entspreche.
Ich bekam Hunger und plünderte meinen Kühlschrank. Etwas Parmiggiano, kalte Poulardenbrust, Salzgurken und eine halbe Flasche Chianti. Nicht gerade ein Gourmetmahl, aber andere Dinge zum Essen gab es zurzeit in meiner Wohnung nicht. Ich stellte das Sammelsurium auf den Tisch, der Fernseher lief immer noch, es wurde Zeit, woanders hinzuzappen.
Meine Wut auf Willi Wurbs war noch immer da. Schluss mit der Zusammenarbeit, dachte ich, das war's, Willi! Gut, dass ich ihm nichts von dem spanischen Fenstersturz erzählt hatte. Wurbs ein Geheimnis anzuvertrauen war, als würde ich meine Katzen zum Tierpräparator in Pension geben.
Im Kommerzsender startete eine Talkrunde. Es ging um Sex. Vertreter abseitigster Kopulationstechniken erhielten öffentliche Anerkennung. Wie entspannt waren die Tage gewesen, als sich Minoritäten noch in schwülstigen Folterkellern oder riechenden Herrentoiletten vergnügten!
Ich änderte das Programm. Schon wieder eine Talkshow. Es ging um vergewaltigte Frauen. Überall nur Opfer, dachte ich, Menschen, über denen der Geier kreist. Und der Zuschauer erstickt in scheinheiligem therapeutischem Wohlwollen. Ich drückte auf Aus , die Glotze wurde dunkel.
Mürrisch streunte ich in meiner Wohnung herum, las ein bisschen, knuddelte meine Katzenviecher. Irgendwann griff ich in mein CD-Regal und holte einen Film-Soundtrack heraus. Farinellis digital abgemischte Stimme hatte den Grundwiderspruch zwischen Mann und Frau auf geniale Weise aufgelöst. Ich schwelgte in hohen, glasklaren Barocktönen.
Natürlich klingelte mitten in die schönste Arie mit dem Titel Cara sposa das Telefon. Es war kurz vor Mitternacht. Vermutlich wollte El Lobo, der Wolf, sich bei mir über Willi, den Bluthund, ausweinen. Grappa, das Mädel mit dem großen Herzen und den breiten Schultern. Ich stoppte die Musik. Da merkte ich, dass gar nicht das Telefon klingelte, sondern dass es an meiner Wohnungstür geschellt hatte. Leise schlich ich zum Spion und guckte durch. Draußen lehnte Enthüllungsreporter Willibald Wurbs.
»Was willst du?«, fragte ich missgelaunt durch die geschlossene Tür.
»Lass mich bitte rein, Grappa«, kam es heiser, »ich habe verdammte Scheiße gebaut.«
Ausgetrickst
Willi redete viel, um nicht mit der Wahrheit herausrücken zu müssen. Er habe es ja nur gut gemeint, nichts Böses gewollt, und Ärger mit mir, nein, das wäre das Allerletzte, was er heraufbeschwören wolle. Bla, bla, bla.
Nach gut zehn Minuten wirren Gestammels kam er endlich auf den Punkt: »Ich bin auf einen falschen Zeugen reingefallen.«
»Das ist hart«, meinte ich und reichte ihm einen doppelten Grappa. Er kippte ihn runter wie nichts. »Erzähl – aber von Anfang an.«
»An dem Abend, als der Film über Lasottas Beerdigung in unserem Magazin lief, bekam ich einen Anruf. Ein Mann. Er habe jahrelang eng mit Lasotta zusammengearbeitet, sei sein Büroleiter gewesen und bestens in die Deals eingeweiht. Ob ich interessiert sei. Klar, dass ich zugegriffen habe. Der Kerl hatte eine Menge Material.«
»Schriftstücke?«
»Was Schriftliches war auch dabei«, wich Willi aus, »aber die heißesten Facts erzählte er mir.«
»Hat er dir seinen Namen genannt?«
Willi schüttelte den Kopf. »Heute weiß ich auch, dass das dämlich von mir war. Der Mann hat mir nur eine Telefonnummer gegeben. Verdammt, ich war so scharf auf die Story. Ich drehte die Nummer also ab, machte einen Film daraus, der lief heute Abend, und dann passierte es.« Wurbs schnappte sich die Flasche Grappa und füllte sein Glas.
»Was passierte? Mensch, Willi! Machs nicht so spannend!«
»Ein Anwalt rief beim Sender an. Im Auftrag von Hilfe ohne Grenzen. Er kündigte eine Schadenersatzklage an. In Millionenhöhe.«
»Aufgrund welcher Fakten?«
»Hermann Lasotta habe nie einen Bürochef gehabt, wir seien einem falschen Zeugen aufgesessen. Er verlangte, dass wir den Zeugen präsentieren. Eine Gegenüberstellung. Unsere Rechtsabteilung faselte noch was von Zeugnisverweigerungsrecht. Doch dann verlangten unsere Anwälte einen Kontakt zu dem Zeugen, um sich intern abzusichern.«
»Du hattest doch immerhin die Telefonnummer.«
»Ja.« Willi Wurbs lachte. Es klang verzweifelt. »Ich wählte also die Nummer, um den Burschen anzurufen. Es war der Anschluss eines Fitnessklubs. Als ich nach dem Mann fragte, der kürzlich im Fernsehen aufgetreten war, lachten die nur.«
»Du bist reingelegt worden, Willi«, stellte ich fest, »doch du hast dir das selbst
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