Grappa 06 - Grappa und der Wolf
weiterreden. Kann ich jetzt bitte den Film haben?«
Willi Wurbs öffnete seine Aktentasche und holte eine Kassette heraus. Liliencron griff danach. Seine Miene war triumphierend. Ich blickte Willi überrascht an. Warum gab er sich so einfach geschlagen?
»Gute Nacht, Herr Kollege«, meinte der BKA-Mann zu Brinkhoff, »wir sehen uns morgen. Vielen Dank noch mal, dass Sie mir Ihr Büro zur Verfügung gestellt haben.«
»Anordnung des Polizeipräsidenten«, stellte Brinkhoff richtig, als Liliencron aus unserem Gesichtsfeld verschwunden war, »diese prächtige Idee stammt von ihm.«
»Komischer Vogel«, meinte ich, »gibt's noch mehr von der Sorte?«
»Er gilt als brillanter Kopf«, versuchte Brinkhoff ihn in Schutz zu nehmen. Es klang ziemlich lahm.
»Ich kann mit Männern nichts anfangen, die ihren Schwanz im Nacken tragen.« Der Satz entspannte unsere Stimmungslage.
»Warum hast du ihm den Film gegeben?«, wollte ich von Willi wissen. »Hat dich sein schlapper Appell an unsere Staatsbürgerpflichten so beeindruckt?«
»Klar«, meinte Willi. »Aber ich glaube, ich hab ihm aus Versehen die falsche Kassette gegeben. Auf seiner ist das Galopprennen. Am vorletzten Wochenende in Wambel. Der große Preis der Vierjährigen. Orego ist als absoluter Außenseiter groß rausgekommen. Ich hatte leider auf den Favoriten gesetzt … und habe ein paar Lappen verloren.«
Galopper in der Zielgeraden
Dr. Egbert von Liliencrons Lachen vertrocknete in der Luft, bevor es zu mir dringen konnte. Ich saß in seinem – beziehungsweise Brinkhoffs – Büro und wurde über meine bisherigen Kontakte zu El Lobo vernommen. Liliencrons Ton war hart und geschäftsmäßig. Ich fühlte mich unwohl, hatte das innere Bedürfnis, den unbekannten Killer, der so nett plaudern konnte, vor dem BKA-Mann zu schützen. Dreh nicht durch, ermahnte ich mich, der Mann tut seinen Job, und er hat es nicht leicht.
»Warum ausgerechnet Sie?«, grübelte der BKA-Ermittler. Diese Frage schien ihn sehr zu beschäftigen.
»Das haben Sie mich schon zigmal gefragt«, murrte ich, »ich kann's Ihnen nicht sagen. Es wäre mir auch lieber, er hätte Sie zum Telefonpartner auserkoren. Das Schicksal hat es nun einmal anders bestimmt.«
»Sie sind in Gefahr«, meinte Liliencron in einer plötzlich aufwallenden Anwandlung bürokratischer Fürsorge, »ich werde Sie unter Polizeischutz stellen lassen.«
»Vergessen Sie's«, widersprach ich, »ohne mich. Außerdem wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie mir den Rauch Ihres Zigarillos nicht ständig ins Gesicht blasen würden. Ich gehöre zu der unterdrückten Minderheit der Nichtraucher.«
Liliencron drückte seinen Brennstab in Brinkhoffs Schreibschale aus. »Entschuldigen Sie.«
»Also, noch mal! Keine Bodyguards. Mir passiert schon nichts«, vertiefte ich meine Ablehnung, »der Killer vergreift sich nämlich nicht an Frauen, Kindern und alten Leuten. Das hat er mir selbst gesagt.«
»So viel Naivität hätte ich bei einer Frau wie Ihnen, Frau Grappa, nicht erwartet.«
»Das ist Ihr Problem«, entgegnete ich und wedelte mit der Hand den Rauch weg, der noch immer aus dem ausgedrückten Zigarillo emporstank.
Liliencron seufzte, als habe er einen besonders schwierigen Fall von Aufmüpfigkeit vor sich. Ich konnte den Blick nicht von seinem Adamsapfel nehmen, er hüpfte sogar beim Atmen wie ein verrückt gewordener Tennisball. Heiterkeit stieg in mir auf. Der BKA-Ermittler schien sich unter meinen Blicken unwohl zu fühlen, stand auf und wanderte durch den Raum. Sein Gesicht war in sorgenvolle Falten gelegt.
»Ich will Ihnen etwas über Ihren Telefonfreund erzählen«, kündigte er an. »Wir wissen zwar nicht viel, aber das bisschen, was wir haben, sollen Sie erfahren. Sie sehen, dass ich mit offenen Karten spiele.«
»Erzählen Sie!«
»El Lobo ist – so glauben wir – ein Deutscher, der allerdings in vielen Ländern dieser Erde gelebt hat. Er spricht etwa zehn Sprachen fließend, ist hochintelligent und liebt Literatur. Wir vermuten, dass er dieses Fach auch studiert hat. An welcher Universität, wissen wir leider nicht. Über sein Äußeres können wir nichts sagen, zumal er ein wahrer Verkleidungskünstler ist. Unseren Berichten nach tritt er manchmal als alter Mann auf, um wenige Wochen später an einem anderen Ort um 20 Jahre verjüngt wieder aufzutauchen. Er soll sich auch schon als Frau verkleidet haben, wenn es für die Erledigung seines Jobs notwendig war.«
»Warum tötet er?«
»Er ist ein Söldner.
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