Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Tannhäuser von …«, dröhnte eine verzerrte Lautsprecherstimme durch den Speisesaal. Der Zeiger der großen Uhr rückte unaufhörlich weiter. In fünf Minuten bin ich weg, dachte ich. Wir waren Punkt 12 Uhr verabredet, inzwischen war es fast halb eins.
Die Türflügel vibrierten nochmals, und ein junger Mann schritt selbstsicher herein. Das musste er sein! Ich gab ein knappes Zeichen mit der rechten Hand. Er verstand und näherte sich.
»Frau Grappa?« Er rollte das R ein bisschen, das war mir schon am Telefon aufgefallen.
Ich nickte und deutete auf einen der drei unbesetzten Stühle. »Ihr Name ist Jedwabski?«, wollte ich wissen.
Er nickte. »Sie können Rocky zu mir sagen.«
Ich musterte ihn. Er war groß und kräftig, hatte blondes, dichtes Haar, das sehr kurz geschnitten war. Auf der Stirn hatte er eine etwa vier Zentimeter lange Narbe, die wie eine Kerbe in die Haut geschnitzt zu sein schien. Seine blaugrauen Augen blickten offen. An einer Augenbraue entdeckte ich einen schlecht verheilten Riss. Die Prügelei, die ihm die Macke beschert hatte, war höchstens eine Woche her.
»Wollen Sie etwas bestellen?«, fragte ich.
»Ein Bier.«
Ich winkte den Kellner heran.
»Warum haben Sie sich auf meine Anzeige gemeldet?«
Der Kellner brachte das Blonde. Rocky setzte es an die Lippen und machte es halbleer. Dann wischte er sich den Schaum von den Lippen.
»Hab gerade keinen Job«, sagte er, »da hab ich die Kleinanzeige gelesen. Und angerufen.«
»Was machen Sie sonst so?« Ich wollte den Dialog mit einer ungewöhnlichen Frage etwas in Schwung bringen.
»Dies und das.«
»Vielleicht geht's etwas ausführlicher?« Der Junge ist nicht gerade ein Cicero, dachte ich, aber er soll mich ja nur beschützen und keine hochgeistigen Debatten mit mir führen.
»Sie meinen beruflich und so?«
»Bingo!«
»Im letzten Sommer hab ich in Spanien gearbeitet. Türsteher in einer Disco in Arenal. Davor war ich Schlosser.« Rocky Jedwabski trank das Bier aus und gab dem Kellner ein Zeichen, dass er ein neues wollte.
»Sie kommen aus Polen?«
»Meine Familie. Aber ich bin Deutscher.«
»Sie sprechen also außer deutsch und polnisch auch noch spanisch?«
»Ja. Was man so braucht. Wieso?«
»Weil die Reise, die ich plane, nach Spanien führt. Wie sind Sie körperlich drauf?«
»Prächtig. Mein Body ist topfit. Sieht man das nicht?« Er atmete ein, und sein Brustkorb blähte sich.
»Doch. Sie haben recht. Das ist nicht wirklich zu übersehen. Welche Sportarten beherrschen Sie? Können Sie mit Schusswaffen umgehen?«
»Boxen und Ringen. Mit 'ner Puste hab ich auch keine Probleme.«
Schon wieder versiegten seine Worte. Er war wirklich keine Plaudertasche. Vermutlich ein Glück, denn nichts ist schlimmer als Männer, die versuchen, sich verbal aufzuplustern.
»Fragen Sie mich doch auch mal was«, forderte ich ihn auf, »ich nehme an, Sie wollen etwas mehr über den Job wissen, für den ich Sie engagieren will?«
Er sagte nichts, sondern schaute mich nur erwartungsvoll an.
»Sie sollen mich beschützen«, begann ich, »ich stelle Ermittlungen an, und die können gefährlich für mich werden. Morgen früh fliege ich nach Spanien. Wenn wir uns einigen, fliegen wir zu zweit. Haben Sie eine Waffe?«
»Nö.«
»Brauchen Sie jetzt auch noch nicht. Noch was – Sie sind doch sauber, oder? Werden Sie von der Polizei gesucht? Haben Sie was ausgefressen? Oder mal im Knast gesessen?«
»No problema«, behauptete er. »Ich bin sauber.«
»Das beruhigt mich. Sie müssen noch wissen, dass ich Ihnen nicht viel Geld geben kann. Ich übernehme die Reisekosten, die Hotelkosten und alles, was in Spanien auf uns zukommt. Dazu kann ich Ihnen noch ein Taschengeld zahlen. 100 Mark am Tag. Ist das okay?«
»Si, Señora«, lächelte Rocky Jedwabski. »Freut mich, dass wir ins Geschäft gekommen sind.«
»Ganz meinerseits. Dann kann's ja losgehen. Morgen um acht auf dem Düsseldorfer Flughafen. Am Lufthansa-Informationsschalter. Ich bringe das Ticket mit. Keine schweren Koffer, nur leichtes Gepäck. Kann sein, dass wir schnell irgendwo abhauen müssen. Der Wagen ist bereits gemietet. Wir übernehmen ihn in Madrid.«
»Und die Knarre? Soll ich nicht besser eine besorgen? Ich hab da Kontakte.«
»Nein. Eine Waffe beschaffen wir uns in Spanien. Wie wollen Sie das Teil durch die Sicherheitskontrolle auf dem Flughafen kriegen?«
Das leuchtete ihm ein. Ich bezahlte die Zeche und nahm ihn in meinem Auto mit. Er sagte, dass er gerade keinen
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