Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Wagen habe. Während der Fahrt versuchte ich noch, etwas mehr über ihn herauszubekommen. Das war harte Arbeit. Wenigstens erfuhr ich, dass Rocky 33 Jahre alt war und bei seiner Mutter lebte.
»Keine Frau, keine Freundin?«, wollte ich wissen.
»Noch nicht die richtige getroffen«, versuchte er zu erklären.
»Ist ja auch Ihr Ding«, brummte ich.
Nach ein paar Kilometern setzte ich ihn im Bierstädter Norden ab.
»Adios«, sagte ich. »Bis morgen! Seien Sie pünktlich, damit wir den Flug nicht verpassen.«
Mit elastischen Schritten verschwand er in der Haustür eines heruntergekommenen Zehn-Familien-Hauses, das schon wesentlich bessere Tage gesehen hatte.
Immer der Nase nach
Zeitunglesen kann manchmal weiterhelfen. Ich war gerade mit dem Packen meiner Reisetasche beschäftigt, als mein Blick auf eine Seite des Bierstädter Tageblattes fiel.
Frau vermisst, hieß es lapidar in der Überschrift des Einspalters. Das Foto zeigte eine attraktive Frau mit einem offenen Gesicht, hoher Stirn, schwarzem Haar und einem großen Mund. Ich legte die Schuhe zur Seite, die ich in dieses Zeitungsblatt hatte einwickeln wollen. Die Frau war nämlich Carlotta Roja – und damit war ich fast wieder am Beginn meiner Geschichte.
Seit etwa vier Wochen fehlt jedes Lebenszeichen der 45-jährigen Carlotta Roja. Die Spanierin, die seit 30 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, wurde zuletzt in der Begleitung eines Mannes gesehen, mit dem sie angeblich eine Reise antreten wollte. Zeugen beschreiben diesen Mann als brünett, etwa 35 Jahre alt und gutaussehend. Die Vermisste wurde mit einem dunkelgrünen Personenwagen mit spanischem Kennzeichen abgeholt.
Da sich Carlotta Roja seit vier Wochen nicht mehr bei Freunden und Bekannten gemeldet hat, kann ein Gewaltverbrechen nicht ausgeschlossen werden. Die Frau ist 1,75 Meter groß und untersetzt. Am Tag ihres Verschwindens war sie mit einem schwarzen Mantel, einer dunkelroten Hose und einem blauen Pullover bekleidet. Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.
Ich betrachtete das Foto und glaubte eine leichte Ähnlichkeit zu der Frau zu entdecken, die Carmen Roja hieß und vor meinen Augen aus dem Fenster eines Hauses geworfen worden war. War ja auch kein Wunder, denn sie waren schließlich miteinander verwandt.
Ich unterbrach meine Reisevorbereitungen und läutete Peter Jansen an. »Woher habt ihr die Meldung von der vermissten Frau?«
»Wie üblich«, sagte Jansen, »aus dem Polizeibericht. Warum?«
»Sie hat was mit meiner Story zu tun. Wenn die Frau wieder auftauchen sollte, lass es mich nach meiner Rückkehr wissen. Ich starte morgen früh.«
»Hat die Sache mit dem Bodyguard geklappt?«, wollte er wissen.
»Eigentlich schon. Leider ist der Junge etwas schlicht.«
»Hauptsache, er hat die Muskeln an der richtigen Stelle und setzt sie entsprechend ein«, lachte Jansen. »Du willst ihn schließlich nicht heiraten, oder?«
»Nicht direkt. Ich habe dir eine Notiz geschickt, in der sein Name und seine Adresse steht. Falls er nicht astrein ist und mich ins Jenseits befördert.« Mein Ton hatte einen makabren Touch.
»Der Mann muss erst noch geboren werden, der dich schafft«, tröstete Jansen mich, »machs gut, Grappa, und viel Erfolg. Hasta la vista oder so ähnlich.«
Ich wandte mich wieder dem Kofferpacken zu, dachte zwischendurch an das Judenviertel der alten spanischen Stadt, an die Bilder El Grecos und an die Tapa-Bar, vor der alles begonnen hatte. In zwei Tagen würde ich dort wieder sitzen. Nicht zur Erholung, sondern um endlich weiterzukommen mit der mörderischen Geschichte. Doch etwas musste ich noch erledigen.
Ich wählte die Durchwahlnummer von Hauptkommissar Brinkhoff. Er meldete sich sofort.
»Hier Grappa. Können wir reden?«
»Sicher. Was gibt's?«
»Wer hat diese Carlotta Roja vermisst gemeldet?«
»Kollegen und Freunde.«
Ich wunderte mich, dass Brinkhoff sofort im Bilde war. Merkwürdig, denn er arbeitete in der Mordkommission und nicht in der Vermisstenstelle.
»Könnte die Frau etwas mit den Ermittlungen in der Mordsache Lasotta zu tun haben?«
»Sie scheinen das so zu sehen, Frau Grappa«, sagte er ruhig, »sonst hätten Sie sich bei der Nachbarin von Frau Roja nicht so ausführlich erkundigt.«
»Woher wissen Sie das?« Die Frage, die ich stellte, war unnötig, doch ich brauchte Zeit, um meine Gedanken zu ordnen.
»Im Rahmen unserer Ermittlungen haben wir die Leute befragt, die in nächster Nähe von Frau Roja wohnen. Und als eine Zeugin
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