Grappa 06 - Grappa und der Wolf
mit ganz besonderem Flair«, stellte er fest, »vermutlich Gift.« Er schnupperte. »Ich tippe auf Blausäure. Riecht nach Bittermandelöl. Fällt in einem Kuchen kaum auf.«
Er winkte einem Beamten, der das Arrangement auf dem Tisch zunächst fotografierte und dann die Torte in einem Plastikbeutel verstaute. Die Spurensucher begannen die Küche zu filzen. Sie hatten sich zuvor Handschuhe angezogen.
»Kann ich der Katze etwas Futter geben?«, fragte ich. Susi strich bettelnd um meine Beine.
»Nichts anfassen!«, raunzte Liliencron.
»Das arme Tier hat lange nichts mehr bekommen!«
Ich schnappte eine Konserve, öffnete die Küchenschublade und fand einen Dosenöffner. Susi maunzte, als ich die Fleischbrocken auf einen Teller fallen ließ. Dann machte sie sich mit gewaltigem Hunger darüber her.
Ich sah der Katze beim Fressen zu, als ein bestialischer Gestank durch die kleine Küche zog. Aus dem grauen Abfalleimer hatte ein Beamter eine halbleere Futterdose gezogen. Der Rest des Abfalleimerinhalts wurde kopfüber auf eine Plastikplane gekippt. Ich drückte mir ein Taschentuch vor die Nase. Eine leere Zigarettenschachtel, ein paar Kippen und eine ebenfalls stinkende halbleere Dose mit den Rückständen eines Fertignudelgerichtes breiteten sich vor unseren Augen aus. Mittendrin ein beschmutzter, aufgerissener Briefumschlag und ein Blatt Papier.
»Das ist interessant«, meinte ein Beamter und hielt Liliencron das Blatt vor die Nase. Der BKA-Mann starrte das Papier an und sagte nichts. Er schaute auf, lächelte ein wenig und sagte: »Sehen Sie mal, Frau Grappa!«
Ich wollte danach greifen, doch Liliencron schnalzte abwehrend mit der Zunge. »Nicht anfassen, bitte!«
Ich trat näher und las, ohne die Worte sogleich zu verstehen: Hallo Willi. Tut mir leid, dass du einem falschen Zeugen aufgesessen bist. Künstlerpech. Lass den Kopf nicht hängen, es wird schon wieder. Wir müssen uns unbedingt treffen. Ich hatte gestern meine Backorgie. Die Sachertorte ist für dich. Ich weiß, dass du einen süßen Zahn hast. Guten Appetit. Deine Grappa.
Völlig verdattert brachte ich zunächst kein Wort heraus.
»Ich kann überhaupt nicht backen«, hörte ich mich flüstern.
»Also haben Sie Herrn Wurbs diese Torte nicht geschickt?«
»Dämliche Frage. Natürlich nicht. Und der Zettel ist auch nicht von mir. Persönliche Briefe pflege ich mit der Hand zu schreiben und nicht mit der Maschine.«
»Wenn wir Ihre Fingerabdrücke darauf finden, sieht es schlecht für Sie aus«, kündigte der BKA-Mann an.
»Da können Sie suchen, bis Sie schwarz werden!« Ich hatte meine Fassung wiedergewonnen. »Warum sollte ich Willi umbringen?«
Liliencron lächelte. »Das werden wir schon noch herausfinden.« Er drehte sich um und verließ die Küche.
»Warum will jemand den Eindruck erwecken, dass Sie Herrn Wurbs getötet haben?« Brinkhoff schien mich nicht für eine Mörderin zu halten.
»Ich glaube nicht, dass der Mörder es darauf angelegt hat«, interpretierte ich, »Willi sollte keinen Verdacht schöpfen und von der Torte essen. Und das hat er ja auch erreicht.«
Zwei Beamte hievten den grauen Metallsarg durch den engen Flur. In Fernsehkrimis hatte ich diese Szene oft für eine Fantasielosigkeit des Regisseurs gehalten. Doch sie war pure Realität.
»Was geschieht jetzt?«, wandte ich mich an Liliencron. »Werden Sie mich festnehmen?«
»Nein«, antwortete Brinkhoff, »das tun wir nicht. Ist ja noch völlig ungeklärt, ob das Opfer überhaupt durch den Kuchen vergiftet worden ist. Herr von Liliencron hat lediglich Vermutungen angestellt, was die Todesursache anbetrifft. Bei der Polizei hält man sich lieber an Fakten – zumindest in Bierstadt.«
Das war deutlich. Liliencron wollte antworten, doch er kam nicht dazu.
»Diese Telefonnummer hat der Tote zuletzt angerufen«, teilte ein Beamter mit. Er reichte Liliencron einen Zettel. »Die Ziffern waren noch in der Wahlwiederholung gespeichert.«
»Kennen Sie diese Nummer?« Der BKA-Mann hielt mir den Zettel unter die Nase.
»Na klar«, sagte ich, »das ist meine. Willi wollte sich wohl für den Kuchen bedanken. Er hat mich aber nicht erreicht, weil ich nicht zu Hause war, sondern verletzt im Krankenhaus lag.«
Ich bückte mich und nahm Susi auf den Arm. »Hat jemand was dagegen, dass ich die Katze mitnehme? Ich will nicht, dass Susi im Tierheim landet.«
Als ich mit der noch immer verstörten Katze aus dem Lift stieg, der mich zu meiner Wohnung brachte, empfing mich meine
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