Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Ihnen Champagner?«, fragte ich sie.
Es gab ihn. Ich bestellte und schüttete meinem Nachbarn ein Gläschen ein. »Lassen Sie uns auf diesen Schrecken anstoßen«, sagte ich und hob das Glas.
Er nahm den Kunststoffbecher und prostete mir zu. »Das ist eine nette Idee. Auf Ihr Wohl, Frau Grappa! Ist Ihr Beruf nicht ziemlich gefährlich?«, erkundigte er sich dann.
»Nur manchmal«, gab ich zu, »ansonsten ist viel Routine dabei. Was führt Sie eigentlich nach Spanien?«
»Urlaub«, lächelte Max Lidor mit Vorfreude im Gesicht, »wir haben ein Haus in den Sierra de Gredos. Das ist ein Gebirgszug westlich von Madrid. Meine Frau ist mit den Kindern schon dort.«
Ich nahm einen weiteren Schluck Champagner. Die Maschine hatte die Wolkengrenze unter sich gelassen. Strahlendblauer Himmel, weiße Quellwolken lagen wie Wattebäusche unter uns.
Schade, dass die netten Männer fast alle fest vergeben sind, dachte ich und betrachtete Lidor. Er sah älter aus als die 45 Jahre, die in seinem Pass vermerkt waren.
»Das ist meine Familie.« Lidor reichte mir ein Farbfoto. Eine mütterliche Frau mit rundem, weichen Gesicht stand zwischen zwei halbwüchsigen Kindern. Alle drei strahlten in die Kamera.
»Wie nett«, entgegnete ich lahm. Immer wenn ich Familienfotos sehe, fehlen mir die passenden Bemerkungen. Ich musste für solche Fälle dringend ein paar originelle Standardformeln in mein Repertoire aufnehmen.
»Meine Frau Clara mit Luis und Maria.«
»Ich heiße auch Maria«, fiel mir wieder ein. Ich kam mir ziemlich einfältig vor.
»Das ist ein schöner Name für eine Frau«, meinte Lidor. Er schien ein überaus höflicher Mann zu sein. Wir plauderten noch eine Weile, dann wandte ich mich meinem Buch zu.
»Sie lesen Don Quixote?«, fragte Lidor.
»Ein spannendes Buch«, schwärmte ich, »nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch das Leben, das der Autor geführt hat. Er hat an einer Seeschlacht teilgenommen und in Afrika im Knast gesessen. Und Geldsorgen, die hatte er auch immer.«
»Im Quixote gibt es ein Gedicht, das die Stimmung des Autors gut zum Ausdruck bringt. Wollen Sie es hören?«
Ich nickte.
»In der Irre muss ich segeln,
da mein Stern mir zeigt kein Ufer,
und ich muss, mein Ziel verhehlend,
es aus ganzer Seele suchen«, rezitierte Lidor.
Das Anschnallzeichen leuchtete auf. Per Lautsprecher wurden die Raucher aufgefordert, ihre Brennstäbe zu löschen. Die Temperatur in Madrid lag bei 25 Grad. In wenigen Minuten würden wir auf dem Madrider Flughafen landen.
»Es war nett, mit Ihnen zu plaudern«, lächelte ich, »die Zeit ist buchstäblich wie im Flug vergangen.«
Max Lidor bedankte sich mit einer angedeuteten Verbeugung.
Als die Maschine gelandet und ausgerollt war, kramte ich mein Handgepäck aus dem Fach. Rocky Jedwabski stand bereits im Gang, um vor mir das Flugzeug zu verlassen. Ich hatte ihn für eine Weile völlig vergessen.
»Wollen Sie vor mir raus?«, fragte ich Lidor und trat beiseite, um ihm Platz zu machen.
»Nein, vielen Dank. Ich steige immer als Erster ein und als Letzter aus.«
»Wie Sie wollen. Dann auf Wiedersehen und einen schönen Urlaub!«
Ich winkte ihm zu und trottete hinaus. Am Ende des Einstiegtunnels wartete mein Bodyguard auf mich. Wenigstens hatte er seine Sonnenbrille abgelegt.
»'ne komische Sache war das eben«, sagte Rocky und steckte sich einen Kaugummi in den Mund. »Haben Sie etwa Ärger mit den Bullen?«
»Noch nicht so richtig«, gab ich zur Antwort, »sonst hätten die mich ja nicht abfliegen lassen. Ich erkläre Ihnen alles später. Kommen Sie, wir müssen heute noch nach Toledo. Hoffentlich geht das mit den Koffern zügig voran. Dann nehmen wir den Wagen, und ab geht es. Überlegen Sie schon mal, wie wir an eine Pistole herankommen.«
Am Gepäckband warteten die Passagiere nach Madrid auf ihre Koffer und Taschen. Dort sah ich Max Lidor wieder. Er wurde von einem Flughafenangestellten in den Raum geschoben, saß in einem Rollstuhl und lächelte vor sich hin. Er sah mich nicht.
Jetzt begriff ich, warum er in Flugzeuge als Erster ein- und als Letzter ausstieg.
Die Schleife des Tajo
Der kleine Mietwagen Kategorie A schnurrte in Richtung Toledo. Es waren gerade mal 70 Kilometer bis zu der Stadt, in der alles begonnen hatte. Ich hatte mir den Namen der Straße, in der das graue Haus lag, nicht gemerkt. Doch ich wusste den Namen des Hotels noch, in dem ich vor einigen Wochen übernachtet hatte. Von dort aus würde es kein Problem sein, die enge
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