Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Reißverschluss hinunter und begann, Rocky aus seiner khakifarbenen Haut zu schälen. Er hatte eine behaarte Brust und ein paar Tätowierungen, Schlangen und Totenköpfe. Es sah ziemlich geschmacklos aus. Ich verkniff mir eine Bewertung seines Körperschmucks.
Sein Slip saß knapp und war violett-pink gemustert, mit lauter kleinen Elefanten drauf. »Wo gibt's denn solch schicke Dessous?«, fragte ich. Rocky kam nicht zu einer Antwort. Er stöhnte, als ich den Anzug über seine Hüften nach unten schob.
»Und jetzt gehen wir zum Bett, und Sie setzen sich ganz sachte hin.«
Es dauerte Minuten, bis er endlich flach lag. Ich schob ihm das Kopfkissen unter den Rücken.
»Ich gehe jetzt zur Apotheke und hole ein Schmerzmittel. Wissen Sie, was Hexenschuss auf Spanisch heißt?«
»Lumbago.«
»Alles klar. Dann bis gleich.«
Die Apotheke war wirklich ganz nah. Ich erstand ein Mittel, eilte ins Hotel und verabreichte Rocky eine ordentliche Dosis. Dann ließ ich die Rollladen halb herab und riet ihm, sich auszuruhen und zu schlafen.
In meinem Zimmer – es lag nebenan – duschte ich, wechselte Hose und T-Shirt und machte mich auf den Weg. Ich brannte darauf, das graue Haus wiederzusehen.
Das »Tor der Sonne«
Ich drückte die altertümliche Klinke an der Tür vorsichtig nach unten. Nichts geschah, die Pforte war verschlossen. Das graue Haus war noch toter, als mir meine Erinnerung zu Hause vorgespiegelt hatte. Die grüne Markise über dem Fenster im dritten Stock hing noch immer da.
Irgendwie musste ich da rein kommen. Der Hinterhof! Viele alte Häuser haben einen rückwärtigen Eingang. Der Mörder von Carmen Roja musste ihn vor einigen Wochen benutzt haben, als er mir entwischt war.
Ich bog um die Straßenecke. Verstohlen hob ich den Kopf, prüfend, ob mich nicht doch jemand sah. Niemand war da, keine Gardine bewegte sich, kein Kopf schob sich zwischen die vielen Blumentöpfe auf den Balkonen.
Das gleiche beklommene Gefühl wie damals. Obwohl ich niemanden entdeckte, kam ich mir beobachtet vor. Ich lief wieder nach rechts und geradeaus. Das musste der Parallelweg zu der Straße sein, an dem das graue Haus lag. Rechts von mir alte Mauern, aus denen Steine herausgebrochen waren, die nun auf dem Gehweg zu Staub zerfielen.
Die Mauer zum hinteren Eingang meines Hauses war so niedrig, dass ich über sie klettern konnte. Ich nahm meinen Mut zusammen und tat es. Tauben flatterten mit Protestgeschrei auf, eine Ratte floh hinter eine Mülltonne.
Irgendjemand hatte in diesem trostlosen Innenhof ein Kräuterbeet angelegt, rote Tomaten hingen schwer an ihren Stauden. Ich bemerkte, dass ich Hunger hatte, ein Tomatensalat mit viel Basilikum, das wäre jetzt das Richtige. Doch Basilikum hatte ich in Spanien noch nie als Gewürzkraut gesehen.
Fast hätte ich sie übersehen. Eine alte Frau saß auf einem niedrigen Holzschemel und starrte mich an. Sie musste mich bereits eine Weile beobachtet haben.
»Holà«, sagte ich freundlich. Jetzt hätte ich Rocky mit seinen Spanischkenntnissen gebraucht.
Die Alte bewegte leicht den Kopf.
»Està es su casa?« Ich wollte wissen, ob es das Haus der alten Frau sei.
Ihre Stimme war klar, als sie sagte: »Tengo solo una habitación.«
Ich interpretierte, dass sie in diesem Haus nur ein Zimmer bewohnen würde. Der Barmann hatte mir damals etwas von einer alten Frau erzählt, fiel mir wieder ein. Da sie sich nicht weiter für mich zu interessieren schien, schritt ich weiter auf das Haus zu. Die Hintertür war geöffnet, ich konnte ungehindert den zwielichtigen Hausflur betreten. Alte Kacheln, einige von ihnen beschädigt, waren vor langer Zeit an den Wänden angebracht worden. Sie zeigten bäuerliche Motive von Saat und Ernte, Alltagsszenen aus dem harten Leben der Landbevölkerung. Bei meinem ersten Besuch in dem Haus waren sie mir nicht aufgefallen. Aber ich war damals die Treppe hinaufgelaufen und hatte keine Zeit für kulturhistorische Beobachtungen gehabt.
Am Ende der Kachelung, etwa einen Meter von der verschlossenen vorderen Eingangstür entfernt, war ein Briefkasten angebracht. Er war nagelneu und aus festem, kühlen Metall. Puerta del Sol stand in Maschinenschrift auf einem weißen Schild. Na also. Hier saß also die Firma, die Gesellschafterin bei Hilfe ohne Grenzen war. Übersetzt hieß das ›Tor der Sonne‹.
Der Briefkasten hatte kein Sichtfenster, ich konnte leider nicht sehen, ob ein Brief drinlag. Mit meinen Fingern versuchte ich durch den Schlitz ins Innere zu greifen.
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