Grappa 06 - Grappa und der Wolf
Quisiera ir al castillo de San Servando.«
Ein Blick in sein Gesicht sagte mir, dass es keinen Sinn hatte, die Touristin zu spielen, die bei der Suche nach einer Burg ausgerechnet in diesem Hausflur gelandet war.
»Sie können deutsch mit mir reden«, sagte Urs Stäubli. »Also vorwärts! Die Treppe hoch.«
Ich wollte mich losreißen, doch er setzte meinen Arm als Hebel ein. Ein Schmerzensschrei entrann meinen Lippen. Stäubli drückte mich die wackelige Stiege hoch.
Wenn ich erst in diesem Büro bin, dachte ich, fliege ich durchs Fenster – genau wie Carmen Roja. Zwei Etagen hatte ich noch, um das zu verhindern. Ich dachte an Rocky. Er saß draußen im Auto und suchte die Straße nach Stäubli ab. Verdammt, schoss es mir durch den Kopf, warum hatte ich nicht mit so was gerechnet. Urs Stäubli hatte bereits in seinem Büro gesessen, als wir im Hotel noch in den Federn lagen.
»Was wollen Sie von mir?«, brüllte ich Stäubli an. »Lassen Sie mich sofort los, Sie Flegel!«
Die Angst wich einer grenzenlosen Wut. Ich hatte keine Lust, mein Leben auf dem Pflaster einer Gasse in Toledo zu beenden. Mein Fuß spannte sich, und ich trat hinter mich. Urs Stäubli taumelte und fluchte, konnte sich aber noch am Treppengeländer festhalten. Er ließ mich kurz los. Ich trat noch mal zu, diesmal mit der ganzen Kraft, die ich hatte. Stäubli bekam meinen Schuh voll in den Unterleib. Er schrie auf, verlor endgültig die Balance und fiel. Das war's.
Mein Atem ging stoßweise. Ich rannte zur Tür, drückte sie auf. Mein Leibwächter saß auf dem Beifahrersitz und hörte Radio.
»Rocky!«, schrie ich. »Komm her, er ist hier!«
Sekunden später stand Rocky neben dem Körper von Urs Stäubli. »Ist er tot?«, fragte er verdattert.
»Nicht direkt«, gab ich cool zurück, »guck mal!« Urs Stäubli begann sich wieder zu bewegen.
»Fessle ihn ans Geländer«, befahl ich, »damit wir in Ruhe verschwinden können!«
»Womit soll ich ihn fesseln?«
»Du liebe Güte! Kannst du denn nichts allein machen? Nimm seinen Gürtel!«
Flugs sammelte ich die Post ein, die wild verstreut auf dem Boden lag. »Los jetzt! Wir hauen ab. Bist du endlich fertig?«
»Soll ich ihn mir mal vornehmen?«, fragte Rocky. »Er könnte uns noch wichtige Informationen geben …«
»Wir sind nicht bei der Fremdenlegion! Der redet sowieso nicht. Außerdem haben wir keine Zeit. Oder sollen wir warten, bis seine Kumpanen nach ihm suchen?«
Rettende Fragezeichen
Flink glitten meine Finger über die Tastatur des Laptops. Nach einer Stunde hatte ich den versprochenen Artikel, auf den Peter Jansen wartete, zusammen. Rocky saß schweigend neben mir, wir hatten uns einen kleinen Imbiss aufs Hotelzimmer kommen lassen.
»Wie findest du diese Überschrift? Gute Taten nur als Tarnung? – Verdient Hilfsorganisation an Geldwäsche? «
»Hört sich gut an«, kaute Rocky. »Hast du Urs Stäubli auch erwähnt?«
»Noch nicht«, antwortete ich und schnappte mir einen kalten Hähnchenschenkel, »Stäubli behalte ich als Trumpfkarte im Ärmel. Ich will ja schließlich an die Hintermänner herankommen.«
»Einen tollen Beruf hast du«, meinte Rocky. In seinem Jungengesicht stand Bewunderung.
»Das täuscht. Solche Storys wie diese hier sind kein Journalistenalltag. Meistens hängst du auf langweiligen Pressekonferenzen rum, musst mit Leuten reden, die so aufregend sind wie eine amtliche Bekanntmachung, oder lässt dir was von Politikern in den Block diktieren. Werde bloß kein Journalist. Es gibt genug gescheiterte Existenzen in diesem Job.«
»Ich habe vielleicht einen neuen Job in Aussicht«, erzählte er. »Aber das hängt noch von einigen Dingen ab.«
»Ach ja?« Mein Interesse hielt sich in Grenzen, denn ich bastelte gerade an der Unterzeile. »Hör mal zu: Spanische Briefkastenfirma überweist hohe Spenden an ›Hilfe ohne Grenzen‹ – Wusste Mordopfer Lasotta von Geldern aus dunkler Quelle? «
»Woher weißt du das mit dem Geld?«
»Ein Kollege hat es rausgekriegt. Er hat zum Glück Belege darüber. Und bei allen anderen Sachen hab ich vorsichtig formuliert, gefragt statt behauptet, angedeutet statt ausgesprochen. Ein wichtiger Trick in dem Job, weil juristisch einwandfrei.«
Ich erhob mich. Der Artikel war fertig. Das Faxkabel lag griffbereit, ich stöpselte es in den Laptop und in die Faxleitung neben dem Hoteltelefon, aktivierte das Modem und gab die Nummer des Bierstädter Tageblattes ein. Ein Mausklick und ab!
Der Stoff, aus dem Schokoladentorten
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