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Grappa 10 - Zu bunt für Grappa

Grappa 10 - Zu bunt für Grappa

Titel: Grappa 10 - Zu bunt für Grappa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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sagte ich.
    »Geh zum Bett«, bat Cortez.
    »Warum? Was hast du vor?«
    »Tu, was ich dir sage«, erwiderte er ernst. »Ich will dich nicht verführen – zumindest jetzt noch nicht.«
    Ich tat, was er verlangte. »Und nun?«
    »Leg dich hin – dann hast du den besten Blick.«
    Ich schmiss mich zwischen die Kissen, blickte geradeaus und wartete gespannt auf die Vorführung. Doch ich sah nichts als eine grob gemauerte Kalksteinwand.
    »Augenblick!« Mit der Geste eines Zauberers drückte Cortez auf eine Fernbedienung. Es knirschte plötzlich im Raum und vor meinen Augen tat sich die Wand auf. Kurz danach flammten Lichtspots auf. Da war es!
    Cortez setzte sich neben mich aufs Bett und starrte das Gemälde ebenfalls an.
    »Ist es nicht wunderschön?«, fragte er leise.
    Ich schwieg. Das Gemälde war nicht groß – vielleicht achtzig Zentimeter mal einen Meter. Wie soll ich es beschreiben?
    Da war Abendstimmung in einem dunklen Gelb, eine noch gelbere Sonne als riesige, pastose Scheibe. Die farbige Antwort auf den Horizont gab das Melonenfeld im Vordergrund: ein rauchiges Blauviolett, geädert durch schwarze Striche und Tupfer, das üppige Grün des Melonenlaubes schlängelte sich auf dem mageren ockerfarbenen Boden. Wie Kometen ohne Schweif waren die honiggelben, fast runden Cavaillon-Melonen in dem Feld drapiert, von der Natur zufällig arrangiert, vom Maler als Momentaufnahme festgehalten.
    Der Horizont teilte das Bild in der Waagerechten, rechts – bevor der Blick in eine dunkle Strauchgruppe gelenkt wurde – ein zaghafter Schimmer von Lavendel. Von rechts unten spaltete ein knorriger Olivenbaum die Ansicht quer durch das Bildformat. Links oben die Silhouette einer romanischen Kirche mit Vorbau, eingerahmt von zwei mächtigen Zypressen.
    Der Bauer stand leicht gebückt im Melonenfeld vor der Abendsonne. Seine Gestalt war schemenhaft.
    »Der Melonenbauer hat etwas Rührendes, Sanftes und Erstaunliches«, hörte ich Cortez sagen. »Er ist zwar kaum zu erkennen, doch ich weiß, dass es in genau diesem Moment für ihn nichts Wichtigeres gibt als die Sorge um eine gute Ernte. Seine Ernte. Sein Auskommen. Seine Zukunft. Und ich spüre den leichten Wind, der über das Feld streicht und die schon nachlassende Wärme der Sonne am Horizont.«
    Erstaunt schaute ich ihn an. So viel Sentimentalität hätte ich bei ihm nicht für möglich gehalten.
    »Ich find's ja auch klasse«, sagte ich. »Wenn ich mir überlege, dass das Ganze auf einer Leinwand stattfindet, aus der sich andere Leute Hemd oder Hose zurechtnähen. Fragt sich, wodurch dieser starke Eindruck erzeugt wird.«
    »Das ist eben das Geheimnis«, antwortete Cortez. »Es wird niemals gelüftet werden. Vincent war ein Genie. Ein Verrückter. Ein Versager.«
    »Heute ist er anerkannt«, wandte ich ein.
    »Das ist er. Er ist der prototypische Künstler des neunzehnten Jahrhunderts: Genial, arm, unbekannt, erfolglos, wahnsinnig und früh verstorben. Aber was hatte er davon?«
    »Jeder Mensch, der das Schöne liebt, ist von seinen Werken fasziniert«, sagte ich.
    »Ja, sicher!« Cortez lachte bitter. »Vincent ist heute der geniale Hampelmann für eine sinnentleerte Gesellschaft, die sich nur noch in events erlebt. Je verrückter ein Maler ist, desto besser kann sein Händler die Bilder vermarkten. Oft dient der Kunsthandel heutzutage nur noch der Geldanlage. Es ist genauso, als würde jemand in Stahl oder Computerchips investieren.«
    »Ein Stahlblech kann man sich nicht nett an die Wand hängen«, widersprach ich. »Also muss es doch noch einen Unterschied geben. Leute wie du und ich zum Beispiel können das Schöne noch fühlen.«
    »Du bist eine unverbesserliche Optimistin«, meinte Cortez. »Ich will ja auch, dass jedermann dieses Bild sehen kann. Um es schön zu finden oder genial oder ... was weiß ich ...«
    »Also – wie geht es weiter?«
    Cortez stand auf und ging zu einer Nische in der Wand. Er reichte mir einen braunen Umschlag. Ich öffnete ihn und hatte mehrere Fotoabzüge des Bildes Bauer im Melonenfeld vor mir. Es handelte sich um eine gute Aufnahme, die die Farben und den Eindruck des Werkes erstaunlich gut vermittelte.
    Wir verließen den Raum wieder und begaben uns in die Küche. Der Kaffee war fertig und ich nahm mir eine Tasse.
    In den folgenden zwei Stunden entwarfen wir ein strategisches Konzept. Ich sollte Kontakt zum Chefredakteur einer internationalen Kunstzeitschrift in den USA aufnehmen. Cortez kannte diesen Mann, doch er wollte ihn nicht

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