Grappa 10 - Zu bunt für Grappa
Rosalie Marengo ist der Beweis.«
»Was für ein Beweis?«, ertönte Thalers Stimme.
»Dass denen, die das Bild besitzen, große Gefahr droht«, antwortete Sterner.
Thaler zeigte sich höflich und schenkte mir ein Glas Wein ein. »Zum Wohl!«
»Merci.«
Der kühle Rosé rann durch meine Kehle, erst jetzt bemerkte ich, wie abgespannt ich war. »Wie können Sie eigentlich feststellen, ob ein Ölbild echt oder gefälscht ist?«
Sterner nahm einen Schluck und sagte: »Da gibt es verschiedene Methoden. Kommt drauf an, ob ich es mit einem plumpen oder geschickten Fälscher zu tun habe. Die Leinwand ist auf jeden Fall das Allerwichtigste. Fälscher kaufen deshalb Bilder aus der Zeit, in der der Maler gelebt hat, dessen Werke sie fälschen wollen. Dann wird die Farbe vorsichtig abgekratzt und mit frischer Ölfarbe vermischt.«
»Die Ölfarben von heute sind doch bestimmt anders zusammengesetzt als vor hundert Jahren«, wandte ich ein.
»Nicht unbedingt. Die Künstler von heute sind immer noch in der Lage, ihre Farben selbst zu mischen – sie müssen nicht auf die kleinen bunten Tuben in den Malgeschäften zurückgreifen. Die Grundlagen sind aber dieselben. Es gibt nur ein paar Farben, die ein guter Fälscher meiden muss.«
»Und welche?«
»Zum Beispiel das so genannte Titanweiß. Es wurde erst 1938 entwickelt – käme also für ein gefälschtes Van-Gogh-Bild nicht in Frage. Zu dessen Zeit gab es das Bleiweiß und seit Mitte des letzten Jahrhunderts das Zinkweiß.«
»Dann muss ein Fälscher ja eine Menge über Malerei, Farben und die Geschichte des Malens wissen«, sagte ich.
»Brillante Fälscher sind nicht nur Maler, sondern auch Kunsthistoriker und wirkliche Künstler.«
»Nach dem, was Sie erzählen, wirken Fälscher eigentlich ganz sympathisch«, meinte ich. »Ich find's gut, wenn sie die raffgierigen Reichen und millionenschweren Konzerne übern Tisch ziehen. Schade nur, dass so ein armer Mann wie Vincent van Gogh nichts mehr davon hat.«
»Vielleicht sitzt er auf Wolke sieben und lacht sich halb tot über das Theater, das um seine Bilder veranstaltet wird«, sagte Thaler. »Obwohl – er hat bestimmt nicht viel Humor gehabt. Dafür fehlte ihm die Leichtigkeit des Seins.«
»Die kann man auch nicht haben, wenn man jeden Tag ums Überleben kämpfen muss«, wandte ich ein.
»Er war eben ein Loser.«
»Ja, ja«, stöhnte ich genervt auf. »Ganz im Gegensatz zu Ihnen. Fragt sich nur, von wem mehr übrig bleibt ... im Rückblick der Jahrhunderte.«
Ich wandte mich wieder Sterner zu. »Wie geht's weiter mit der Bildfälscherei?«
»Die Originalleinwand wird also wieder übermalt – jeweils in dünnen Schichten«, setzte Sterner seinen Vortrag fort. »Das Bild muss danach natürlich einem schnellen Alterungsprozess unterzogen werden, die Oberfläche wird auf alt getrimmt – und das ist das Schwierigste an der Sache.«
»Sie meinen die feinen Risse, die ältere Ölgemälde aufweisen?«
»Sie sagen es, Frau Grappa. Diese Risse nennt man ›Craquele‹. Sie entstehen durch Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Fälscher verkürzen diesen Prozess, indem sie die Malschicht gleich mehreren Klimaschocks aussetzen und den Farben sehr viel Sikkativ beimengen – das ist ein Trockenmittel für ölgebundene Farbe. Der Fälscher stellt sein Bild immer wieder in einen leicht angewärmten Backofen – nur für ein paar Minuten. Dann malt er weiter – Schicht um Schicht.«
»Ziemlich aufwendig«, stellte Boris Thaler fest. Er hatte die Füße auf den Steintisch gelegt und notierte eifrig, was Sterner erzählte.
»Ist das Bild fertig«, ließ sich Sterner nicht stören, »wird's kompliziert. Das Werk muss gefirnisst werden – es muss das eben erwähnte ›Craquele‹ erzeugt werden. Da gibt es zwei Lacksorten. Lack Nummer eins wird sehr schnell aufgetragen – mit der Stoppuhr wird die Trocknungszeit gemessen, die – je nach Luftfeuchtigkeit – fünf bis fünfzehn Minuten dauert. Dann kommt der zweite Lack drauf – er sorgt dafür, dass die Oberfläche des Bildes unglaublich schnell altert und jene feinen Risse bekommt, die das Alter vortäuschen sollen. Und jetzt muss das Bild ruhen – mindestens für ein paar Monate.«
»Das ist schon alles?«, fragte Thaler enttäuscht.
»Oh nein. Dann beginnt die Feinarbeit.«
»Und die wäre?« Die Flasche Rosé war leer. Diesmal ging ich zum Kühlschrank.
»Der Fälscher macht jetzt eine Reise«, erzählte Sterner, als ich wieder auf meinem Stuhl saß.
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