Grappa 10 - Zu bunt für Grappa
Es war dunkel, der Himmel unbewölkt und sternenklar.
»Er fährt zu der Gegend, in der der Maler das Bild gemalt haben könnte – in unserem Fall also in die Provence. Dort sammelt er Sand, Erde, Lehm, ein bisschen Asche und zerreibt das Ganze in einem Mörser zu einem feinen Staub. Mit einem weichen Lappen wird der Staub auf dem Bild verteilt, in die Risse eingerieben. Das wird bei kräftigem Sonnenlicht gemacht oder unter einem Solarium. Danach kommt das Bild für ein paar Monate in einen feuchten Raum und erst dann ist das angebliche Original so hergerichtet, dass es auf dem Markt angeboten werden kann.«
»Ist ein Van-Gogh schwer zu fälschen?«
»Vincent hatte einen unverkennbaren ›touche‹, den er selbst allerdings nicht immer gleich ausführte – je nach seinem Gesundheitszustand und seiner psychischen Verfassung waren die Pinselstriche mal kräftig, mal zarter, mal wild oder gemäßigt. Mal hat Vincent seine Bilder signiert, manchmal aber auch nicht. Er hat viele Motive immer wieder in Variationen gemalt – denken Sie nur an die vielen Sonnenblumenbilder oder das Motiv der blauen Schwertlilien. Das hat viele schlechte Fälscher inspiriert, sich an seinen Werken zu versuchen, weil es einfach erscheint. Aber – die Seele fehlt und die hat van Gogh jedem seiner Werke mitgegeben.«
»Sie würden eine Fälschung auf jeden Fall erkennen?«
»Ja, ich bilde es mir ein – nein, eigentlich bin ich sicher.« Sterner nahm meinen Arm, drückte ihn und sagte beschwörend: »Berichten Sie Cortez, dass ich auf seiner Seite stehe«, sagte er leise. »Bitten Sie ihn in meinem Namen darum, dass ich das Bild sehen darf. Nur ein einziges Mal.«
Ich spüre eine Kraft in mir, die ich weiter ausbilden muss, ein Feuer, das ich nicht dämpfen, sondern anfachen muss, obwohl ich nicht weiß, zu welchem Ende es mich führen wird – wenn es ein düsteres wäre, würde ich mich nicht wundern. In einer Zeit wie der heutigen – was soll der Mensch sich da wünschen?
In Stein gemeißelt
Am nächsten Tag geschah absolut nichts. Alles war so friedlich, leicht und locker – ich saß den halben Tag in der Sonne oder im Schatten, las und hörte Musik, und ich hatte das Gefühl, eine normale Touristin zu sein, die in der herrlichen Provence nur ausspannte und sonst nichts tat.
Am frühen Nachmittag fasste ich den Plan, Rosalie im Krankenhaus zu besuchen. Ihr Sohn hatte sie in eine Klinik nach Apt gebracht – nur vier Kilometer von Saignon entfernt.
Ich duschte, schminkte mich und kramte ein kurzes, blaues Kleid aus dem Kleiderschrank. Dazu hochhackige Schuhe und ein wenig Parfum.
Das Hôpital war schnell erreicht. Rosalie lag auf der Chirurgischen Station – so der Mann am Empfang.
»Bonjour, Rosalie, comment allez-vous?« , fragte ich, als ich vor ihrem Bett stand.
Die alte Frau sah aus wie ein braves Kind, so wie sie in ihrem Bett lag – den Kopf mit dem weißen, vollen Haar im dicken Kissen leicht zurück geneigt, die Bettdecke bis über die Brust gezogen, die mageren Arme rechts und links neben den Körper gelegt. Die Stirn war unter einem weißen Verband verborgen, der Einbrecher hatte ihr auf den Kopf gehauen.
Rosalie reagierte nicht. Sie schien zu schlafen.
Ich nahm ihre Hand, streichelte sie. Warum musste diese alte, harmlose Frau zum Ziel skrupelloser Verbrecher werden?
Plötzlich spürte ich, wie Rosalies Finger die meinen drückten. Wenige Augenblicke später öffnete sie die Augen – ihr Blick war verwundert, als er mich traf.
»Qu'est-ce que vous faites ici?« , murmelte sie.
Ich erklärte ihr, dass ich gekommen sei, weil ich von dem Überfall gehört hätte.
Sie stutzte, hatte wohl Schwierigkeiten, sich zu erinnern.
Ich fragte, ob sie den Einbrecher erkannt hatte.
Sie erzählte, dass sie ihn nie zuvor gesehen habe. Jemand habe an die Tür geklopft, sie habe natürlich geöffnet – wie viele Male zuvor. Der Mann sei zunächst sehr freundlich gewesen, dann habe er plötzlich die Wohnung durchwühlt und auf sie eingeschlagen.
Ich fragte, ob sie den Mann beschreiben könne. Sie konnte und lieferte einen erstaunlich genauen Steckbrief von Jean-Jacques Prébois.
»Cet homme sera puni« , murmelte Rosalie. Danach redete sie ein paar Sätze auf Spanisch, ich verstand nichts. Schließlich schloss die alte Frau die Augen – unser Gespräch hatte sie erschöpft. Es wurde Zeit zu gehen.
Auf dem Weg zu meinem Auto überlegte ich, was sie wohl gemeint haben könnte: Dieser Mann wird bestraft werden – das
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