Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Erschießen Sie mich doch. Ich will aufrecht stehen.«
»Es wird wirklich Zeit, dass die Menschheit von einem Quälgeist wie Ihnen befreit wird«, seufzte Rabatt. »Ich erschieße Sie auch im Stehen. Kein Problem!«
Er hob die Waffe, entsicherte sie und legte an. Im Augenwinkel sah ich noch, wie Baci vom Stuhl aufsprang und sich auf Rabatt stürzte.
Ausklang
Ich haste durch Venedig, verfolgt von einem Mann mit schwarzem Tabarro und einer weißen Maske. Alles Rennen nützt nichts, an jeder Ecke taucht er wieder auf, ist in Hauseingängen verborgen, lauert auf Dachfirsten und, als ich endlich eine Gondel besteigen will, sitzt er schon zwischen roten Kissen und winkt mir zu. Endlich scheine ich ihn abgeschüttelt zu haben, doch jetzt stürzen sich Tauben auf mich, picken auf mich ein. Ich flüchte in eine Kirche. Hier hängen viele Gemälde und alle Menschen darauf sind schön und golden. Die Bilder sind meine Rettung, ich gehe auf das größte von ihnen zu und öffne mit den Händen die Leinwand. Mein Blut ist heiß und pocht in den Adern, es will mich fast zerreißen. Plötzlich schaue ich an mir hinab und sehe, dass ich ein rotes Kleid trage und halb nackt bin. Der Stoff ist zerrissen und meine Haut ist braun. Eine Frau schwebt mir entgegen, sie ist weiß und fett, eine Märtyrerin mit Wunden an Armen und Beinen, ihr Haar ist blond und zwischen Perlenschnüren verdeckt, ihr Blick eine Mischung aus Lüsternheit und Gottesfurcht. Ein Reiter galoppiert an mir vorbei, die Schaumfetzen vom Maul seines Rappen fliegen in mein Haar. Die Landschaft wird arkadisch, Schäferinnen legen sich Lämmer an die Brüste und eine von ihnen hat mandelförmige Augen und singt ein Lied.
Maybe I didn't treat you
Quite as good as I should have
Maybe I didn't love you
Quite as often as I could have
Little things I should have said and done
I just never took the time
You were always on my mind
...
Der Mann mit der Maske ist wieder hinter mir, er ist groß und schwer und kommt auf mich zu. Ich kann nicht weglaufen, meine Füße stecken fest in der Wiese, ich bin eingesunken, sinke, während der Mann sich mir nähert, noch weiter ein. Er nimmt die Maske ab und ich erkenne Baci, er reicht mir die Hand und zieht mich aus dem Sumpf. Um uns herum wird es dunkel und ich habe keine Angst mehr.
Bierstädter Tageblatt – aktuelle Ausgabe
REPORTERIN GRAPPA LEBENSGEFÄHRLICH VERLETZT
Von Peter Jansen
Freunde, Verwandte und Kollegen zittern seit gestern um das Leben unserer Reporterin Maria Grappa. Sie wurde während ihrer Recherchen zum Vierfachmord durch einen Schuss schwer verletzt und ringt in einer Klinik mit dem Tod.
Die Chronologie der Ereignisse:
Am frühen Nachmittag informierte eine Bekannte der Journalistin, A. Schmitz, die Polizei und machte sie auf eine Adresse aufmerksam, wo sich Frau Grappa befinden sollte. Diese habe ihr den Auftrag erteilt, Hilfe zu holen, falls sie sich nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bei ihr gemeldet hätte.
In der Wohnung fand die Polizei die international zur Fahndung ausgeschriebene Duong Thu Huong, besser bekannt unter dem Namen ›Betty Blue‹. Die eingebürgerte Vietnamesin wurde beschuldigt, DGB-Chef Ansgar Hunze, den Dichter Karl Krawottki und die beiden Callgirls Puppa und Rosi Ischenko getötet zu haben.
Die Frau gab bei der Vernehmung an, dass sich Frau Grappa in Lebensgefahr befinde, und zwar durch Oberstaatsanwalt Bob Rabatt. Rabatt, bislang für die Ermittlungen in dem Mordfall zuständig, sei selbst der Mörder und wolle die Reporterin beseitigen. Betty Blue nannte den Behörden schließlich die Adresse eines Bauernhofes im Sauerland. Eine Stunde später stürmte die Polizei den Hof und fand die schwer verletzte Reporterin. Neben Frau Grappa lag der venezianische Polizeibeamte M. Baci, der wohl ebenfalls von dem Mörder beseitigt werden sollte. Baci war in einem Handgemenge bewusstlos geschlagen worden.
Er ist außer Lebensgefahr und konnte die Polizei über weitere Zusammenhänge unterrichten. Von Rabatt fehlt noch jede Spur. Ihm ist es gelungen, unmittelbar vor Erstürmung des Hauses die Flucht zu ergreifen.
Wir werden Sie, liebe Leserinnen und Leser des Tageblattes, über den Gesundheitszustand von Maria Grappa auf dem Laufenden halten. Wir alle bangen um das Leben der mutigen Journalistin.
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