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Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser

Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser

Titel: Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Die Kantinenwirtin faltete gerade ihre geringfügig Beschäftigte zusammen. Die hatte nämlich die Angewohnheit, die abgegossene Pasta mit den Händen aus dem Topf zu nehmen und dann auf Teller zu schmeißen. Eine Kelle Soße drüber und fertig. Diese unkonventionelle Art der Bedienung hatte – so entnahm ich den Ansagen der Wirtin – am Vortag zur Meuterei unter den Gästen geführt. Zwischen zwei Pasta-Bestellungen hatte sich die Frau einen Pickel am Kinn ausgedrückt, um danach wieder beherzt in die Nudeln zu greifen.
    Ich grabschte nach einer herumliegenden Zeitung und verzog mich in eine entfernte Ecke, um mich informationsmäßig auf den aktuellen Stand zu bringen. Immerhin gab es ja noch andere wichtige Dinge auf der Welt als eine tote Schriftstellerin.
    Frauen kommt es bei Männern nicht in erster Linie auf gute Liebhaberqualitäten oder Mut an, las ich. Bei einer Umfrage für die Zeitschrift Brigitte zum Thema ›Was ist heute männlich?‹ mussten sich die Teilnehmerinnen jeweils für eine Alternative entscheiden: Gut im Job oder gut im Bett? Mutig oder verantwortungsbewusst? Belesen oder handwerklich geschickt? Zwei Drittel der Frauen ziehen einen Karrieristen dem guten Liebhaber vor. 78 Prozent finden es wichtiger, dass der Mann mit Schlagbohrer und Flex umgehen kann, als dass er weiß, was Proust mit Madeleine zu tun hat.
    Ich dachte an die hinreißende Madeleine-Szene in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Nicht, dass ich den mehrere tausend Seiten dicken Schmöker noch wirklich in Erinnerung gehabt hätte, aber diese Szene kannte ich. Sie eignete sich wunderbar für Bluffs auf Partys oder Konferenzen. So hatte ich jüngst einem von sich sehr überzeugten Mann, als er seinen Keks in den Tee tauchte, ins Ohr geflüstert: Oh, Sie lesen Proust?
    Nach der Pause wechselte er den Platz und war für den Rest des Konferenztages friedlich.
    »Was gibt es Neues?«, fragte Jansen und trat an meinen Tisch.
    »Ich denke gerade über Marcel Proust nach«, bekannte ich.
    »Warum das denn?«
    »Du weißt doch, dass ich ein Schöngeist bin.«
    »Klar, Grappa. Dass du komisch bist, ist bekannt.«
    Prompt klingelte mein Handy, es war Sabine Wunsch. Jansen entnahm meiner Miene, dass es sich um einen wichtigen Anruf handeln musste, und spitzte die Ohren.
    Ich stellte mich als gute Freundin der Berghofen vor und behauptete, auch mit ihren esoterischen Übungen vertraut zu sein.
    Sabine Wunschs Stimme klang matt und sie sprach langsam. Ich tippte auf Medikamente. Wir verabredeten uns in einer Stunde im Papageien-Café.
    Das Café lag in der Bierstädter City zwischen Bahnhof und Einkaufsmeile. Es war eines jener Traditionscafés, in dem die Kunden einen angestammten Sitzplatz hatten. So alterten die Kaffeetrinker gemeinsam mit den Bedienungen, am betagtesten jedoch war die Gelbstirnamazone, die jeden Besucher, der sich vom Stuhl erhob, krächzend fragte: »Hast du schon bezahlt?«
    Ich war zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit da. Ich sehe meine Gesprächspartner gern ankommen – so kann ich mich besser auf sie einstellen. Der Gang eines Menschen sagt viel über ihn aus. Es ist wichtig, wie er den Kopf hält, ob er das Kreuz durchdrückt oder den Menschen direkt in die Augen blickt.
    Auf dem Kuchenbuffet lagen Mandelhörnchen – eine etwas andere Art als die, die ich von Anneliese Schmitz gewöhnt war: Diese hier waren die Königsvariante meiner Lieblingsteilchen. Beide Enden waren in prächtige – und vor allem viel – Schokolade getunkt worden und die Mandeln waren mit einer glänzenden Glasur überzogen. Beim Anblick der Dinger bekam ich einen spontanen Speichelsturz. Ich bestellte eins und ein Kännchen Kaffee dazu.
    Ich setzte mich so, dass ich den Eingang und die Straße im Blick hatte, über die Sabine Wunsch ins Café gelangen musste. Die Kellnerin brachte Kaffee und Gebäck und versperrte mir dabei die Sicht zur Tür.
    Als sie zum nächsten Tisch ging, bemerkte ich eine junge Frau, die in der Tür stand. Sie suchte mit Blicken die Tische ab. Ich hob kurz die Hand und sie verstand.
    Sabine Wunsch war groß, schlank und etwa Mitte zwanzig, sah aus, wie einem Roman Lilo von Berghofens entsprungen: Das Sonnenlicht ließ das blonde Haar wie gesponnene Seide schimmern. Das schlichte weiße Kleid betonte die Schönheit, das Mädchen sah aus wie eine Prinzessin. Graf Gero hob sein Fernglas an die Augen. Sein Herz pochte in einem unregelmäßigen Rhythmus. Die junge Frau lief die Treppe hinunter zum Park. Ihr Gang

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