Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser
Anschließend checkte ich ein letztes Mal für heute die Nachrichtenagenturen.
Überall tote Kinder. Eine Jungenleiche im Kühlschrank, vergrabene Säuglingsknochen im Balkonkasten oder »nur« schwere Misshandlungen wie diese:
Das Landgericht will heute das Urteil gegen eine Mutter sprechen, die ihrer kleinen Tochter jahrelang Kalkreiniger und Essig eingeflößt haben soll. Die 27-Jährige hatte zugegeben, die heute 5-Jährige mehr als zwanzig Mal gezwungen zu haben, die ätzenden Substanzen zu trinken. Außerdem soll sie das Kind mit kochendem Wasser übergossen haben, um die Unfallversicherung zu betrügen.
Das war genug. Ich war frustriert über die Schlechtigkeit der Menschheit.
Kinder wurden gequält und ich hatte nichts Besseres zu tun, als mich um eine Séance zu kümmern, um die Wahrheit zu finden. Wenn das hier vorbei ist, dachte ich, trittst du wieder für die Armen und Schwachen dieser Welt ein. Der Gedanke tat gut, ich kam mir edel und mutig vor.
Katzenpech und Hexenwahn
Schon früh fuhr ich zur Klinik – so früh, dass ich hoffte, dem unangenehmen Bruder Arno nicht in die zu Arme laufen. Doch Sabine Wunsch hielt sich entgegen der Aussage des Arztes nicht mehr in der Psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses auf. Sie hatte eine Erklärung unterschrieben und war im Morgengrauen verschwunden.
»Ist sie abgeholt worden?«, fragte ich die Frau am Empfang.
»Von einem Mann«, antwortete sie.
»Ihrem Bruder?«
»Nein, es war der Mann, der sie hier häufiger besucht hat. Wie ein Bruder wirkte der nicht.«
»Haben Sie eine Adresse? Eine Telefonnummer?«
»Ich darf Ihnen solche Auskünfte nicht geben, tut mir leid.«
Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als dem Bruder auf die Bude zu rücken. Bestimmt ließ er sich mit dem angeblichen Lotteriegewinn nicht ein zweites Mal ködern. Es war zehn Uhr, eine Zeit, zu der Arbeitslose gewöhnlich schon aufgestanden und auf der hektischen Suche nach einem Job sind.
Auf dem Weg zu Wunsch kreuzte eine schwarze Katze meine Fahrbahn – sie schaffte es gerade noch, in einen Busch zu springen, bevor ich sie erwischen konnte.
Schon wieder ein mystisches Zeichen, aber war es ein gutes oder schlechtes? Der Tag würde die Frage beantworten.
Das Haus, in dem der Bruder wohnte, lag in praller Sonne. Im Hochsommer musste es in diesen Schlichtbauten ohne vernünftige Isolierung nett warm werden.
Das Schloss war kaputt und ich konnte das Gebäude ohne Probleme betreten. Neben dem Zugang zum Keller standen zwei schäbige Kinderwagen und ein Rollator, die Gehhilfe für Menschen meines Alters und aufwärts.
Wie fühlte sich so ein Ding eigentlich an? Ich legte die Hände um die Griffe und schob es zwei Meter vor mir her. Eigentlich ganz prima, dachte ich, und für den Fall, dass du vornüberkippst, rastet die Bremse ein. Auch der Korb für Handtasche und Einkäufe war von den Designern zu Ende gedacht: Eine Kiste Wein müsste sich darin unterbringen lassen. Aber wohin dann mit der Handtasche? Kein Problem, ich würde sie um den Hals tragen, anders hätte ein sozial benachteiligter Jugendlicher sie mir ohnehin schon weggerissen. Das Alter verlor für einen winzigen Moment seine Schrecken.
Ich schob das Ding an seinen Platz zurück und stieg die Treppe hoch. Arno Wunsch wohnte in der ersten Etage. Die Klingel gab allerdings keinen Mucks von sich, vielleicht hatte er sie abgestellt.
Ich schlug mit der Faust gegen die Tür, und zwar so laut, dass sich das Holz der Tür mit einem hässlichen Knacken revanchierte. Minuten vergingen. Das Gepolter lockte nicht den erhofften Wunsch, sondern andere Bewohner herbei und bald war der Hausflur gefüllt.
»Der pennt doch noch«, meinte eine Frau, die auf halber Treppe über mir dem Geschehen folgte.
»So tief kann keiner pennen«, entgegnete ich. »Entweder ist er tot oder nicht da. Vielleicht ist er auf Arbeitssuche?«
Müdes Gelächter schallte durchs Treppenhaus. Die Leute kannten ihre Pappenheimer.
»Eigentlich will ich ja zu seiner Schwester«, sagte ich. »Die hat in der Lotterie gewonnen und ich will es ihr sagen. Ist doch eine schöne Nachricht, oder?«
»Die Sabine hat was gewonnen?«
»Ja, und zwar eine ganze Menge.«
»Und die weiß das noch nicht?«, fragte die Frau.
»Nein. Herr Wunsch meinte, sie sei im Krankenhaus, da ist sie aber nicht mehr.«
»Moment mal. Ich habe irgendwo die Handynummer von der Biene.« Die Frau kletterte die Stiegen hoch.
»Sie kann ja auch bei ihrem Freund sein«, mutmaßte ein
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