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Grappa dreht durch

Grappa dreht durch

Titel: Grappa dreht durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Wollenhaupt
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nichts.
    Er hatte meinen Blick bemerkt und sagte: »Das Schild Ihres Vorgängers hängt dort noch. Ich lasse es sofort entfernen.«
    »Was ist mit diesem John Masul?« fragte ich. »Hat er gekündigt?«
    BIG Boss zögerte eine Weile mit der Antwort. »Ich hoffe, Sie sind nicht abergläubisch, Frau Grappa!« meinte er dann. »John Masul ist einem Unfall zum Opfer gefallen.«
    »Ein Autounfall?«
    »Er hat Selbstmord begangen.«
    »Wie schrecklich! Warum hat er das getan?«
    »Niemand weil? es. Depressionen, private Probleme. Wir können nur raten.«
    »Wie hat er es gemacht?«
    »Er hat sich vom Dach gestürzt!«
    »Vom Dach dieses Hauses?«
    »Ja.«
    Wir betraten das Zimmer. Boss hatte wenig Lust, über das Thema zu reden. Doch darauf wollte ich keine Rücksicht nehmen.
    »Wie ist er da rauf gekommen? War nicht abgeschlossen?« hakte ich nach.
    »Liebe Frau Grappa! Die Sache hat uns alle furchtbar mitgenommen. Wir sollten nicht mehr darüber reden.«
    »Sie haben recht. Der Arme! Manche Menschen bewältigen ihr Leben eben nicht. War er ein guter Journalist?«
    »Ein bißchen schwierig war er schon, doch er hat seine Filme immer pünktlich abgeliefert. Er war solide.«
    »Solide! Ist das ein Kompliment, Herr Boss?«
    »In diesem Beruf nicht unbedingt«, gab er zu und kam ein wenig näher, »ich hoffe, daß Sie ein wenig flexibler sind, als es der Kollege Masul war! Er war wenig anpassungsfähig, konnte sich auf neue Situationen nicht schnell genug einstellen.«
    75Ich fragte nicht, welche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit er von mir erwarten würde.
    Inzwischen hatte ich hinter dem Schreibtisch Platz genommen. Irgendjemand hatte notdürftig aufgeräumt. Die Schreibtischplatte war blank, Bleistifte und Kugelschreiber waren fein säuberlich in eine Schale gelegt worden. Nichts Persönliches war auf dem Schreibtisch zurückgeblieben. An der Wand stand ein riesiger Pappkarton.
    BIG Boss war meinen Blicken gefolgt.
    »Der Karton wird weggeräumt«, versprach er, »er enthält die Sachen von Masul. Seine Witwe hat wohl kein Interesse daran. Frau Ritzenbaum hat alles eingepackt. Traurige Geschichte! Wirklich traurig!«
    »Das eilt nicht«, beruhigte ich ihn, »ich stelle ihn erst mal beiseite.«
    Ich brauchte schließlich Zeit, um die Sachen gründlich zu durchsuchen.
    BIG Boss schien erleichtert. »Schön, daß Sie es so unkompliziert sehen. Ich wußte gleich, daß ich es mit einer couragierten jungen Dame zu tun habe. Schon im Reitstall machten Sie den Eindruck, daß Sie mitten im Leben stehen. Und nun gewöhnen Sie sich ein! Wenn unser Chef vom Dienst gleich kommt, werde ich Sie ihm vorstellen!«
    »Sie meinen Herrn Mühlen?«
    »Ja. Er hat gerade einen Dreh in der Nordstadt. Er ist mein Stellvertreter und arbeitet als Chef vom Dienst für das aktuelle Magazin. Aber er dreht und moderiert auch selbst! Ein echter Allround-Mann!«
    »Ich freue mich auf seine Bekanntschaft!«
    BIG Boss drückte mir freundschaftlich den Arm und ließ mich endlich allein.
    76 Haie beißen nur in der Nähe des Wassers
    Rita versprach mir, den Karton mit der Hinterlassenschaft ihres Mannes noch am selben Tag abzuholen. Wir hatten vereinbart, daß sie kurz nach 16 Uhr überraschend auftauchen sollte, genau zu dem Zeitpunkt, für den ich Sekt und Schnittchen angekündigt hatte. Ich wollte mich meinen neuen Kollegen und Kolleginnen doch von meiner besten Seite zeigen - und das gelingt im Journalismus am besten mit einem zünftigen, promilleträchtigen Einstand.
    Das Ereignis sollte rund um Rosi Ritzenbaums Büroanrichte stattfinden. Die nahm ihre Aufgabe ernst. Sie suchte Gläser zusammen, spülte und stellte sie fein säuberlich in eine gerade Reihe. Davor drapierte sie Servietten. Die Gemeinschaftsaufgabe hatte ihr rosige Wangen gezaubert und sie ins Schwitzen gebracht.
    »Ich setze noch ein paar Kannen Kaffee auf!« flötete sie und verschwand.
    Der Raum war bereits gut gefüllt. Etwa zwanzig Mitarbeiter waren gekommen, um mich willkommen zu heißen. Der Partyservice brachte die bestellten Leckereien. Ich bezahlte den Mann. Als er mir das Wechselgeld zurückgab, bemerkte ich, daß ich beobachtet wurde.
    »Hallo!« sagte ich und lächelte ihn an. Rudi Mühlen war es nicht, der da schweigend in der Ecke stand. Der Mann war groß und muskulös, hatte eine gute Haut und trug die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Nase stach wie das Segel eines Surfbretts zwischen den Wangen hervor. Die Lippen waren voll und paßten nicht zu dem scharfen

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