Grappa dreht durch
zu den Leuten aus Bella Ita-lia.
Luigi, der Geschäftsführer vom »Pinocchio«, dürfte der best informierte Mann in der Szene sein, dachte ich. Schweigen war zwar eins seiner Hobbys, doch er mochte mich, was ich weniger meinem weiblichen Charme zuschrieb, als meinem Nachnamen, der in italienischen Ohren wie Musik klingt.
Ich verzichtete darauf, aus dem vereinsamten Glas Senf, das in meinem Kühlschrank sein Leben fristete, ein fünfgängiges Menü zu zaubern.
Das Telefon gab ein dezentes Klingeln von sich. Um diese Zeit? Ich blickte auf den Wecker: Es war 3.40 Uhr!
»Ja?« knurrte ich wütend in den Hörer.
»Möchtest du Alfons Brokkoli sehen?« fragte mich Bertha. »Wenn ja, dann komm mal eben zu mir!«
»Ist er in deiner Wohnung?« scherzte ich.
»Nicht direkt. Kommst du?« Berthas Stimme vibrierte vor Aufregung.
»Du hast ihn auf einer Drehkassette entdeckt!«
»Bingo! Cleveres Kind. Also, bis gleich!«
Bertha hatte ihre »Hausaufgaben« gemacht. Nach dem Besuch bei Rita hatte ich ihr von Carolas Entführung erzählt und ihr die zehn Kassetten in die Hand gedrückt.
Ich zog meine Leggings und den Pullover wieder an und stieg eine Treppe höher. Die Tür war angelehnt.
»Hast du was zu Futtern im Haus?« war meine erste Frage.
»Nein«, rief Bertha mir zu. »Mehr als Kaffee kann ich dir nicht bieten. Mit Milch und Zucker?«
»Viel Milch!«
»Setz dich vor den Fernseher. Gleich beginnt die Vorführung.«
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Ich pflanzte mich auf ihr Blümchensofa, das mit mehreren Kissen belegt war. Die nachempfundene Galle-Lampe gab ein sanftes Licht von sich, das meine fernsehmüden Augen schonte.
»Du hast ja einen tollen Videorecorder!« staunte ich. Das Ding war der letzte Schrei und mit dem neusten elektronischen Schnickschnack ausgestattet.
»Eine Neuerwerbung«, sagte Bertha mit Stolz. »Eine überaus günstige Gelegenheit.«
»Das sehe ich«, meinte ich zweideutig. »Kannst du den Recorder wenigstens bedienen?«
»Ich kann Kassetten einlegen, sie starten und wieder stoppen. Mit dem Rückspulen habe ich Probleme. Das Programmieren muß ich auch noch lernen.«
Ich lachte. »Hat dir der gute Onkel aus dem Radiogeschäft nicht gezeigt, wie du das Ding bedienst?«
»Hab‘s gebraucht gekauft.«
»Hängt deshalb das Preisschild noch am Originalkarton?«
Sie hatte wieder eingekauft nach dem Motto: Aussuchen, greifen, den Laden verlassen.
»Bertha! Warum tust du das nur immer wieder? Warum klaust du wie ein Rabe?«
»Ich bin eine arme Rentnerin ...« Sie spielte die Zerknirschte.
»Mach, was du willst. Ich will mich da nicht einmischen. Irgendwann wirst du eingesperrt. Früher hast du wenigstens nur kleine Sachen mitgehen lassen, jetzt sind es schon teure Elektronikgeräte. Wann kommst du mit einem geklauten Porsche vorgefahren?«
»Ich habe doch gar keinen Führerschein.«
Ich ließ die Sache auf sich beruhen, spulte die Kassette zurück und startete sie.
Der Timecode sprang an. Nach ein paar Sekunden Schwarz zeigten sich die ersten Bilder:
Das Bierstädter Landgericht von außen. Über einer zweiflügeligen Tür
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prangt das Wort »Landgericht« in großen schwarzen Buchstaben. Der Kameramann hatte zwei Einstellungen gedreht. Eine Ranfahrt aufs Motiv und einen Aufzug. Dazu einige Zwischenschnitte von zufällig ins Gebäude gehenden Menschen.
Auf der Tonspur lief die Atmo mit, Straßenverkehrslärm, undefinierbares Menschengemurmel, Autotürenklappern.
Plötzlich verläßt die Kamera mitten in der Bewegung die Ranfahrt auf ein Messingschild, wackelt und hat Sekunden später eine Gruppe von drei Männern vor dem Auge. Sie nähern sich der Treppe, die ins Gebäude führt. Die Kamera folgt ihnen unbemerkt. Die drei Männer sind in ein Gespräch verlieft. Als sie mit dem Kameraauge auf derselben Höhe sind, schaut einer der Männer voll ins Bild. Er ist dem Objektiv so nah, daß sein Gesicht verzerrt wird. Der Mann hebt die Hand und schlägt das elektronische Auge beiseite. Dabei zischt er unfreundlich.
Wieder einige schwarze Bilder. Dann eine Ranfahrt auf den Gerichtssaal. Die Türen sind halb geöffnet, und Zuschauergehen in den Saal. Das Bild steht einige Sekunden lang, dann schwenkt die Kamera nach rechts, stoppt auf dem Aushang der Prozeßtermine und zoomt auf das Papier.
Oben auf dem Blatt sind die drei Berufsrichter angegeben. Ganz deutlich ist weiter unten zu lesen: Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Name des Angeklagten ist Alfons Lallensick.
Die Kamera pausiert
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