Grappa dreht durch
konnte. Die Curry-Wurst, die ich vergangene Nacht im Hafen verdrückt hatte, wollte von mir nicht Abschied nehmen. Immer wieder schmeckte ich altes Ol und stockiges Curry-Pulver.
»Es kann nicht mehr lange dauern«, sagte er, und seine Gesichtszüge bekamen einen träumerischen Ausdruck. »Wenn wir Glück haben, dann sehen wir vielleicht sogar Bufo viridis!«
»Bufo ... was?«
»Bufo viridis, die Wechselkröte. Einmal in meinem Leben habe ich ein Exemplar gesehen. Sie hat über den Ohren eine flache, birnenförmige Drüse, und ihre Laichschnüre bestehen aus 10.000 Eiern.«
»Wahnsinn!« stimmte ich zu. »Gibt es hier irgendwo einen Laden, wo ich Magenbitter kaufen kann?«
Der Krötenheld schaute mich an, als hätte ich einen Schweinebraten in eine Moschee gelegt. Endlich kam Elvis Wüsten. Sein Outfit stammte aus dem Katalog einer Safarifirma. Die beigefarbene Hose saß wie angegossen, die langen Beine steckten in hohen Lederstiefeln mit Profilsohlen. Er trug eine Thermo-Jacke aus Segeltuch mit vielen Taschen und einer Lasche für Gewehrpatronen. Auf dem Kopf saß eine Lodenmütze mit herunterklappbaren Pelz-Ohrenschützern. Seinen Pferdeschwanz hatte Wüsten unter die Mütze geschoben, um den Hals baumelten ein olivgrünes Fernglas und ein Kompaß.
Er war ausgerüstet wie ein Trapper in den kanadischen Bergen, der sich in ein Überlebenstraining im Dauerfrost stürzt.
100
»Wer ist das?« fragte mein Krötenheld ängstlich. Das Equip-ment machte ihn fassungslos.
»Mein Kameramann. Er wird jede Kröte, die sich über die Straße traut, auf Zelluloid bannen. Und den Begattungsakt natürlich auch. Wie lange dauert der eigentlich?«
»Das ist kein Begattungsakt wie bei uns Menschen.«
»Das will ich aber auch hoffen!« Klasse, dachte ich, wenigstens glaubt er nicht mehr an den Klapperstorch.
»Was wird denn gleich passieren? Welche Kröte kommt als erste?«
»Bufo bufo. Sie lebt in Gegenden wie dieser. Feuchter Wald. Die Männchen stoßen als Abwehrlaut bei der Paarung ein leise bellendes öak aus. Interessant ist, daß diese Spezies keine Schallblase hat.« Er machte eine Pause, damit ich die Sensation verkraften konnte.
Elvis Wüsten guckte stoisch geradeaus. Er stand abseits und tat so, als würde er nicht zu uns gehören. Gelangweilt betrachtete er seine Fingernägel. Dann fiel sein Blick auf die Stiefel, an denen feuchte Walderde klebte. Ein leises Fluchen drang zu uns herüber.
»Kommen Sie doch bitte zu uns, Herr Wüsten«, sagte ich freundlich, aber bestimmt. »Die Erklärungen unseres Gesprächspartners werden Sie interessieren.«
Widerwillig griff er nach seiner Kamera, die er auf einem abgesägten Baumstamm abgelegt hatte. Er schlenderte betont langsam auf uns zu, darauf bedacht, seine blanke Fußbekleidung nicht noch mehr zu verschmutzen. Nichts ist lächerlicher als ein eitler Fatzke, dachte ich grimmig.
Dann begann der Naturschützer mit der Beschreibung unseres »Hauptdarstellers«. »Bufo bufo ist nur etwa 13 bis 15 Zentimeter lang, die Oberseite ist grau- oder schwarzbraun und mit vielen kleinen Warzen bedeckt. Die Pupille steht waagerecht, die Iris ist gold- oder kupferrot. Ja wirklich, Bufo bufo hat sehr hübsche Augen!«
Ein Lächeln verschönte die Züge meines Krötenretters. Auch er hatte hübsche Augen, wenn er von seinen Lieblingen
101
schwärmte. Mir wurde ganz warm ums Herz, wie immer, wenn ich Spuren von hingebungsvoller Liebe in unserer konsumorientierten, gewaltverherrlichenden Gesellschaft entdeckte. Ich riß mich zusammen. Schließlich war ich dienstlich hier.
»Und diese Erdkröten müssen ausgerechnet über diese Asphaltstraße laufen?«
»Diese Straße wurde mitten durch ihren Weg gebaut«, stellte der Naturschützer klar, »wir Menschen sind die Störer und nicht umgekehrt.«
»Verstehe. Das Kröten-Mensch-Werteverhältnis ist ins Wanken geraten. Das ist sehr bedenklich!« Die Currywurst meldete sich wieder. Hoffentlich taucht diese Kröte bald auf, wünschte ich, sonst kann ich für nichts garantieren.
»Wie wär‘s denn mit einer kleinen Ampel am Waldrand?« witzelte ich. Doch niemand lachte.
»Da! Da ist sie!«
Der Aufschrei des Krötenhelden weckte Elvis Wüsten. Mit raschem Griff schnappte er die Kamera, stellte das Handlicht an.
»Wo ist das Viech?« krächzte er. Ich zuckte zusammen.
»Psst!« empörte sich der blonde Naturbursche. »Leise! Sie verscheuchen sie ja! Kommen Sie hierher. Sehen Sie, da ist sie!«
Ich guckte in die Richtung, in
Weitere Kostenlose Bücher