Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
Mahalas. Dort standen verwahrloste Hochhäuser, oft ohne Wasser und Elektrizität. Die meisten Roma hatten keine Arbeit, keinen Schulabschluss und wenig Aussichten, ihrer desolaten Situation zu entkommen.
In den Fünfzigerjahren hatte die kommunistische Regierung sie gezwungen, sesshaft zu werden. Sie mussten ihre arabisch klingenden Namen ablegen. Ehen zwischen Roma und Bulgaren wurden verboten. Nach dem Sturz des Kommunismus wurden die bürgerlichen und politischen Rechte der Roma zwar formell wiederhergestellt, aber es gab weiterhin erhebliche gesellschaftliche Ressentiments. Weil die Roma keine Arbeit fanden, schlugen sie sich mit Kleinkriminalität durch, was die Aggressionen ihnen gegenüber noch verstärkte.
Irgendwann sprach sich in Plovdiv herum, dass es sich in Bierstadt gut leben ließ. Im Norden der Stadt gab es preiswerten Wohnraum und einen Straßenstrich, der nicht überfüllt war. Schlepper, welche die Roma gegen Geld in klapprigen Bussen von Plovdiv nach Bierstadt brachten, waren schnell zur Stelle.
Dass allerdings Ehemänner, Brüder und Väter die Frauen ihres Familienverbandes zur Prostitution zwangen, wollte nicht in meinen Kopf. Aber das lag wohl an mir und meiner feministischen Vergangenheit. Heutzutage trat die Kritik am Zwang zurück hinter die konkreten Hilfen – sogar der katholische Sozialdienst hatte einen Container am Strich bezogen und stellte einen Aufenthaltsraum zur Verfügung. Dort konnten die Huren zwischen zwei Nummern einen schnellen Coffee to go bekommen.
Bierstadt war innerhalb von zwei Jahren zum Mekka der Discountficks geworden. Im Internet gab es Foren, in denen Freier die billigsten Sexangebote posteten, die Mädchen und ihre »Begabungen« beschrieben und sich darüber austauschten, wie die Preise noch weiter gedrückt werden konnten.
Schnack hatte mir vierzig Zeilen zugeteilt. Das war nicht viel. Wayne präsentierte mir nun alle Fotos, die er am Morgen gemacht hatte. Der enge Weg zwischen den Häusern, hinter denen die Leiche gefunden worden war, das verriegelte Gatter, davor der Abfall und die Gebäude selbst, die unbewohnt schienen. Manche Fensterscheiben waren zerbrochen, der Putz blätterte und die Farbe war keine Farbe mehr, sondern nur ein stumpf geflecktes Grau-Schwarz. In der Regenrinne hatten sich Birkenpollen zu kleinen Pflanzen entwickelt.
»So lange kann das Haus noch nicht leer stehen«, fiel Wayne auf. »Hier hat jemand eine Blume ins Fenster gestellt. Guck mal!«
»Stimmt. Es könnte eine Rose sein. Eine langstielige Rose in einer Bierflasche. Fast schon romantisch.« Ich dachte nach. »Wir müssen rauskriegen, wem die Häuser gehören. Der Mörder hat die Leiche im Hinterhof abgelegt und das Gatter wieder verschlossen. Mit einem Schlüssel, der in das Vorhängeschloss passt. Es gibt keinen anderen Zugang.«
»Da ist was dran, Grappa.«
»Grundbuchamt«, nickte ich.
Leichenfund am Straßenstrich – tote Frau im Hinterhof
Das vom Rat beschlossene Aus für den Bierstädter Straßenstrich wird von einer grausamen Bluttat überschattet. Während Polizei und Ordnungskräfte gestern in den frühen Morgenstunden Huren und Freier kontrollierten und die Verrichtungsboxen niederrissen, fanden Reporter unserer Zeitung im Hinterhof eines heruntergekommenen Hauses eine nackte Frauenleiche. Noch weiß niemand, wer die Tote ist. Deshalb sucht die Polizei dringend Zeugen. Was bisher bekannt ist: Die Unbekannte ist zwischen 20 und 30 Jahre alt, 1,68 m groß und schlank. Die Polizei glaubt, dass es sich um eine Romafrau aus Bulgarien handelt. Ihre Hände waren gefesselt. Sie wurde vermutlich erstochen und zuvor gefoltert.
Ich beschrieb die Polizeiaktion und schilderte erneut die menschenunwürdigen Umstände, unter denen die Roma in ihrem Land leben mussten.
Mir war klar, dass viele Bierstädter kein Mitleid mit den ›Zigeunern‹ haben würden. Allzu oft kam es im Norden der Stadt zu Zusammenstößen, Streitereien und Gewalttaten. Das Skurrile an der Sache war, dass sich nun die alteingesessenen Deutschen mit den Türken gegen die Roma verbündeten. Die gleichen Deutschen, für die die Türken bis dahin der letzte Dreck gewesen waren.
Drei Fotos zierten den Artikel – auch das geschönte Foto der toten Frau. Ob sich jemand melden würde, der die Frau vermisste? Ich rechnete nicht damit.
Die beiden Häuser gehörten einer Wohnungsbaugesellschaft in den USA mit dem Namen Whitehall, die als ›Heuschrecke‹ bekannt war. Whitehall hatte Billigwohnraum
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