Grappa und die keusche Braut
ernste junge Frau den Chatterjargon. »Wer sich da jetzt so aufregt, muss also ein Lehrer sein. Und ich krieg raus, wer wer ist. Die Nimmmich16 sieht sowieso sehr nach Lerchenmüller aus.«
»Ach, Caroline, mir reicht das für den Anfang«, schloss ich die Episode ab und klickte auf Verlassen.
»Sie können mich Caro nennen und mich duzen, wenn Sie wollen.« Plötzlich wirkte sie wie ein kleines Mädchen.
»Gerne. Dann bin ich aber auch nicht mehr Frau Grappa für dich. Sag einfach Grappa und Du.«
Sie nickte. »Vielen Dank noch für die Klamotten. Ich werde mich mal kurz duschen und umziehen. Hast du eine Waschmaschine?«
»Im Keller. Leg die Sachen einfach davor.«
Sie verschwand und ich hörte Wasser laufen. Wie war ich in diesem Alter gewesen? Vor meinem geistigen Auge zog eine schwierige Zeit vorbei. Die Baader-Meinhof-Gruppe begann, die Gesellschaft zu verändern. Andreas Baader wurde gewaltsam aus dem Gefängnis befreit. Er hatte, zusammen mit anderen, Bomben in zwei Kaufhäuser in Frankfurt gelegt. Die Rote-Armee-Fraktion überfiel Banken, um Geld für den bewaffneten Widerstand gegen das »Unrechtsregime« Bundesrepublik Deutschland zusammenzubekommen. Ich fand diese Aktionen damals chic, bewunderte die RAF-Leute, weil sie sich was trauten. Erst später – als sie Menschen entführten und mordeten – ließen meine Sympathien für die Gruppe nach.
Mit achtzehn hatte ich Gedichte geschrieben, mich gekleidet und geschminkt wie Juliette Gréco und die Schule geschwänzt. Erste erotische Techtelmechtel mit Jungs. An ihre Gesichter erinnerte ich mich nicht mehr. Eigentlich verwunderlich, dass du die Kurve gekriegt hast, Grappa, dachte ich.
Caro kam die Treppe rauf. Sie trug den bunten Rock und eins der neuen T-Shirts. Ihre Haare waren feucht.
»Ich hab Hunger«, stellte sie fest.
»Das trifft sich gut«, entgegnete ich.
Ich bereitete Spaghetti Bolognese und Tomatensalat. Büffelmozzarella hatte ich noch im Kühlschrank.
Caroline schnitt die Zwiebeln, und sie machte es sorgfältig und gut. Keine Kälberzähne. Als wir uns am Küchentisch gegenübersaßen und mit dem Essen beginnen wollten, klingelte es an der Haustür.
Ich schickte Caroline ins Bad und öffnete dann.
»Ich möchte mich bedanken«, sagte Dr. Friedemann Kleist. Er betrat das Haus ohne Umstände, durchschritt den Flur und stellte eine Flasche Prosecco auf den Küchentisch. Dann machte er zwei Schritte zurück und schaute demonstrativ auf den Tisch. Sein Zeigefinger richtete sich auf meinen Teller, und sein Mund formte das Wort »Eins«. Dann zeigte er auf den anderen Teller.
Bevor seine Lippen »Zwei« hervorbringen konnten, knickte ich ein: »Ist schon gut, Moment.«
Ich führte Caroline in die Küche. Kleist war erkennbar verärgert.
»Bevor jetzt Kriegshandlungen ausbrechen, essen wir. Sonst wird alles kalt«, versuchte ich, die Situation zu retten.
Ich legte ein drittes Gedeck auf und holte noch einen Stuhl aus dem Esszimmer. Kleist setzte sich und griff tatsächlich zu. Die Spaghetti waren schon etwas abgekühlt. Gesprochen wurde nicht während des Essens. Es herrschte eine ganz seltsame Atmosphäre.
Caroline und Kleist benutzten ihren Löffel, um auf ihm die Bissen mit einer Gabel zusammenzudrehen. Ich gab an mit meiner Fähigkeit, die Nudeln freihändig auf die Gabel zu zaubern.
Anschließend räumte ich schnell ab, kochte Tee und zündete eine Kerze an. Wir blieben in der Küche sitzen.
»Na gut«, nahm ich das Wort. »Friedemann, du weißt, wer die junge Frau ist. Caro, das hier ist Dr. Kleist. Er ist der Leiter der Mordkommission.«
Das kam nicht gut an. Zorn zeigte sich auf ihrer Stirn und sie sagte vorwurfsvoll: »Und ich hab dir vertraut.«
»Ja«, erwiderte ich. »Herr Kleist und ich sind befreundet. Darum ist er hier. Ich habe Herrn Kleist den Artikel über Patricks Video vorab zugeschickt. Es ist einfach nicht sinnvoll, die Polizei auf der falschen Fährte zu lassen und dann auf ihr rumzuhacken.«
Um Kleists Mund spielte ein leises Lächeln. Er schien es zu genießen, dass ich in Erklärungsnot war. Das machte mich wütend.
Caroline zelebrierte eine von ihren einstudierten Pausen, aber ihre Zornesfalte glättete sich ein wenig.
Kleist wandte sich ihr zu. »Darf ich vermitteln oder es versuchen?«
Nach zäh verrinnenden Sekunden zuckte sie mit den Achseln.
»Ich bin hier uneingeladen und unangekündigt hereingeschneit«, begann der Hauptkommissar. »Ich werde die Situation nicht
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