Grappa und die keusche Braut
Internat.«
»Über die Entlassung aus der U-Haft solltest du ein paar Zeilen schreiben«, regte mein Chef an. »Das wäre fair.«
»Ja, ja«, sagte ich lustlos. »Eine Meldung für die Eins.«
Das Bierstädter Tageblatt ohne Jansen? Ich ohne Peter? Eine schreckliche Vorstellung. Aber in einem hatte er recht: Wenn er seinem Leben noch mal einen Schub geben wollte, musste er jetzt in die Vollen gehen. Und da war der Job des Oberbürgermeisters nicht der schlechteste.
Ich formulierte eine kurze Nachricht über die Freilassung von Lara Lindenthal. Die Buchstaben glitten mir nicht wie gewohnt in die Tasten. Aber ich hatte ja Routine. Jahrelange Routine.
Jansen! Ich beneidete ihn plötzlich.
Ich genoss die abendliche Single-Pasta und das Alleinsein. Im Fernsehen hatte ich die Wahl zwischen einem geigenden Dauergrinser, einem Film mit singender Doris Day, Rudi Carrell in seinen jungen Jahren und einer weiteren Folge der Endlosserie über Hartz-IV-Betrüger. Heute beklagte sich der Vater bei den Reportern, dass er kein Bettchen für seinen kleinen Sohn habe. Die Kamera schwenkte auf das Kind, wie es selig im Karton des neuen Plasmafernsehgerätes schlief. Fernsehen war langweilig.
Caro wartete bestimmt schon im Chat auf mich. Ich holte meinen Laptop und setzte mich aufs Sofa – neben mir ein Glas Wein und leckere Snacks. Es konnte losgehen.
[Tussi-de-Luxe betritt den Raum]
Wurstbrot: wie luxuriös biste eigentlich, tussi? kann ich mir dich leisten?
Keusche-Braut war ebenfalls anwesend und meldete sich gleich zu Wort.
Keusche-Braut: Wurstbrot, geh mit giftmüll spielen. hallo, Tussi
Wurstbrot: ihr zwei kennt euch wohl Tussi-de-Luxe und Keusche-Braut?
[Flüstern an Keusche-Braut]: Du lebst ja noch.
[Flüstern von Keusche-Braut]: Knapp! Lerche hat mich gegrillt. Ich soll alles zurücknehmen.
[Flüstern an Keusche-Braut]: Es gab Druck?
[Flüstern von Keusche-Braut]: Und wie. SIE war auch da, mit großen Kuhaugen.
[Viper betritt den Raum]
Viper: Hi, ihr Loser. schon gehört? Venus ist wieder da.
Wurstbrot: dann besuchen wir sie doch mal. wer macht mit?
[LostHope betritt den Raum]
War ich gerade Zeugin einer Verabredung zu einer Straftat? Gebannt starrte ich auf den Monitor. Was würde noch passieren? Ich tippte.
Tussi-de-Luxe: Wurstbrot, die letzten, die Venus besucht haben, sind tot. Schon vergessen?
Wurstbrot: nee, Tussi, aber wir lassens uns auch gern von dir machen.
Tussi-de-Luxe: frag doch mal Nimmmich16
Wurstbrot: wer bläst so spät bei nacht und wind, es ist die lerche vor seinem spind? lach
[LostHope verlässt den Raum]
Tussi-de-Luxe: tolles niveau hier.
Viper: niveau? ist das nicht ne gleitceme?
[Flüstern an Keusche-Braut]: Ich geh raus. Wer ist Wurstbrot?
[Flüstern von Keusche-Braut]: null ahnung.
[Flüstern an Keusche-Braut]: Wo ist die Lindenthal?
[Flüstern von Keusche-Braut]: im schloss.
[Tussi-de-Luxe verlässt den Raum]
[Keusche-Braut verlässt den Raum]
Ich überlegte. Sollte ich die Drohung von Wurstbrot, mit anderen zusammen Lara Lindenthal zu besuchen, ernst nehmen? Nein. Die Jungs hauten doch nur – von der Anonymität im Chat gedeckt – verbal auf den Putz. Spätpubertäres Machogehabe, mehr nicht.
Der Gesang der Lerche
»Die wollen mir mein Stipendium streichen«, heulte Caro am Telefon. »Das hab ich der Lindenthal zu verdanken.«
»Beruhig dich doch.«
»Beruhigen? Du bist vielleicht gut«, schniefte sie. »Ich steh kurz vor dem Abi.«
»Ist denn alles schon entschieden?«, fragte ich.
»Nein. Es gibt eine Anhörung vor dem Stiftungskuratorium. Ich werde da vorgeladen. Lerchenmüller und Lindenthal auch.«
»Wann ist der Termin?«
»In drei Tagen.«
»Das sollte reichen«, murmelte ich.
»Wozu reichen?«
»Lass mich mal machen. Ich hab da eine Idee.«
»Nun sag schon, Grappa!«, forderte sie.
»Caro, sei ein liebes Mädchen und mach keinen Stress. Und lies morgen das Bierstädter Tageblatt. Kriegst du das hin?«
Dieses Kind. Hoffentlich hielt sie still. Ich fuhr früher als sonst in die Redaktion. Peter Jansen war schon da. Er kam immer als Erster, um in Ruhe die Meldungen der Agenturen und Zeitungen zu lesen. Bei der Redaktionskonferenz war er dann besser informiert als wir alle.
»Willst du immer noch als Oberbürgermeister kandidieren?«, fragte ich.
»Ich glaube, ja.«
Er sah auf die Uhr und dann mich überrascht an. »Und du kommst extra eine Stunde früher hier
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