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Grappa und die keusche Braut

Grappa und die keusche Braut

Titel: Grappa und die keusche Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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rein, um mir diese Frage zu stellen?«

    »Halt mir bitte noch ein letztes Mal den Rücken frei.«

    »Mach ich das nicht immer, Grappa?«, fragte er.

    »Doch. Ich verzieh mich gleich und schreibe was. Und du liest es dann. Danach weißt du, was ich meine. Mit dem freien Rücken.«

    Mein Chef kratzte sich an der Stirn. »Du machst mich neugierig, Grappa-Baby.«

     
    Zuerst lief ich in die Kaffeeküche, Dröhnung holen. Ich trank eine Tasse und wartete ein Weilchen. Konzentrieren. Und dann schreiben. Fies schreiben.

     
    Neuer Skandal auf Schloss Waldenstein: Was treibt Direktor Lerchenmüller (58) nachts im Schülerchat?

     
    Natürlich gab es noch keinen Skandal. Jetzt noch nicht. Aber nach Erscheinen meines Artikels. Hatte ich das Recht, Lerchenmüller so vorzuführen? Ich dachte lieber nicht weiter über die Frage nach. Er würde es als Rufmord empfinden, doch juristisch würde er mir nichts am Zeug flicken können. Die deutsche Sprache ist so wunderbar biegsam. Ein kleines Fragezeichen hier, ein Konjunktiv da – und schon war man aus dem Schneider. Ich tippte los:

     
    Wenn es draußen dunkel wird, gehen in vielen Schülerzimmern im Nobelinternat Schloss Waldenstein die Rechner an. Die jungen Leute treffen sich. Nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern im Internet. Sie betrachten das Schülerportal ausstieg.de als ihre kleine virtuelle Kneipe. Sie chatten im Raum Philosophische Fragen. Hier reden sie über Schulethemen, erzählen sich gegenseitig ihre Sorgen und Nöte, helfen und beraten sich. Dies tun sie nicht unter ihren richtigen Namen. Sie suchen sich einen sogenannten Nicknamen aus, denn das Portal ist für jeden zugänglich und niemand möchte für Außenstehende zu erkennen sein.

    So wird aus dem einen Schüler, der vielleicht Hans heißt, ein Chatter namens Wurstbrot oder eine melancholische Schülerin namens Vanessa verwandelt sich in die Chatterin LostHope.

    Wenn es dunkel wird rund um Schloss Waldenstein, fährt noch jemand seinen Rechner hoch. Das ist Dr. Wolfgang Lerchenmüller. Auch er loggt sich bei den Philosophischen Fragen ein. Erkennen kann ihn niemand, denn der 58-jährige Pädagoge gibt sich die Identität einer 16-jährigen Schülerin. Sein Nickname: Nimmmich16. Mehrere Monate chattete der Internatsleiter unerkannt, bis ihm ein sogenannter Administrator auf die Schliche kam und die anderen Chatter informierte.

    Zum Hintergrund: In den Nutzungsbedingungen des Portals ausstieg.de ist eine Altersbeschränkung vermerkt: Nicht älter als zwanzig Jahre darf man sein, wenn man sich dort einträgt. So soll verhindert werden, dass sich ältere Menschen an Kinder und Jugendliche heranmachen. Diese Bedingungen müssen per virtueller Unterschrift bestätigt werden. Nach Informationen unserer Zeitung hat sich Lerchenmüller unter einem erfundenen Namen bei dem Portal angemeldet. Nach Angaben der anderen Chatter führte Nimmmich16 mit Vorliebe erotische Gespräche, was auch der Nickname schon vermuten lässt. Die Frage, die sich jetzt alle stellen: Warum möchte Dr. Lerchenmüller ein 16-jähriges pubertierendes Mädchen sein?

     
    So. Das war Teil eins. Ich rief auf Schloss Waldenstein an. Lerchenmüller befand sich in einer Schulkonferenz.
    »Es ist aber dringend«, teilte ich seiner Sekretärin mit.

    »Um was geht es denn?«, fragte sie.

    »Das würde ich gern mit Herrn Dr. Lerchenmüller selbst besprechen.«

    »Unser Terminkalender ist übervoll«, flötete der Vorzimmerdrachen.

    »Gut. Dann sagen Sie ihm, dass ich gern über Nimmmich16 mit ihm reden würde. Dann hat er bestimmt Zeit für mich.«
    »Nimm mich … was?«

    Ich wiederholte den Namen und gab meine Handynummer an. Jetzt heißt es abwarten, Grappa, dachte ich.

    In der Kantine kaufte ich mir ein belegtes Brötchen und verzog mich damit in meine Einzelzelle – das Mobiltelefon immer hart an der Frau. Ich war sicher, dass mich Nimmmich16 innerhalb der nächsten Stunde anrufen würde.

    Es dauerte nur fünfzehn Minuten.

    »Sie wollten mich sprechen?«, fragte Dr. Lerchenmüller. Ein sinnlose Frage, denn er wusste es ja.

    »Es freut mich sehr, dass Sie sich melden«, sülzte ich. »Kennen Sie ein Schülerportal namens ausstieg.de? «

    »Warum interessiert Sie das?«, fragte er vorsichtig.

    »Ich arbeite für die morgige Ausgabe an einem Artikel über dieses Portal«, antwortete ich freundlich. »Ich lese Ihnen am besten vor, was ich bisher geschrieben habe. Dann werden Sie verstehen, weshalb ich Sie sprechen

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