Grappa und die Toten vom See
wir uns dann wieder hinters Steuer und fahren zurück.«
Den Rest des Tages überprüften der Bluthund und ich, ob das Wetter stabil blieb, ob der Blick auf den See von überall gleich schön war und ob die Baristi unterschiedliche Ausbildungsstandards absolviert hatten.
Am Abend feierten wir dann mit einem mehrgängigen Abendessen Abschied vom Lago Maggiore. Das Restaurant, das wir uns ausgesucht hatten, schien auf den ersten Blick keine Touristenneppbude zu sein, doch die Stühle wurden nach drei Minuten unbequem. Die Kellner ließen uns keine Minute Zeit, die Speisekarte zu studieren.
»Die haben es aber eilig«, wunderte sich Wayne.
»Ja, sie wollen uns schnell wieder loswerden«, bestätigte ich. »Die Geschäftsphilosophie geht so: Platz nehmen, aussuchen, bestellen, essen, trinken, bezahlen und ganz schnell Platz machen für die nächsten Gäste. Aber den Gefallen werden wir ihnen nicht tun. Wir haben heute Abend sehr viel Zeit.«
Langsam füllte sich der Laden. Wir schickten die Kellnerin zwei Mal weg, weil wir uns noch nicht für ein Essen entscheiden konnten, und wandten uns zunächst dem Brot zu.
Ich betrachtete die Gäste. Es war alles vertreten, was sich in den Touristenregionen der Welt herumtrieb. Die Proll-Pärchen: er mit offenem Hemd und Flokati, einer fetten Sonnenbrille, die nach Ray-Ban aussieht, aber nur von Bruno Zitroni ist. Sie Kaugummi kauend, Stilettos mit Strohblumen und dunkel geschminkte Augen, auf die man die Faust nicht mehr zu setzen braucht.
Die alten Ehepaare: Sie teilen sich eine Lesebrille. Er trägt rentnerbeige, sie altrosa. Sie schweigen viel und irgendwann kramt sie seine Herztabletten aus der Handtasche.
Die frischen Liebespaare: Sie bestellen viermal Brot, literweise Leitungswasser und einen Salat für zwei. Er hält die Hände unterm Tisch und sie kichert.
Ältere Damen auf der Suche: Sie sind betont gut drauf, wippen zur Musik, glotzen dem Kellner auf den Hintern, tragen Wickelkleider mit tiefem Ausschnitt. Altersflecken und Sommersprossen sind nicht voneinander zu unterscheiden.
Bleiben noch die suchenden älteren Herren: Sie haben überschminkte Säufernasen, schlecht sitzende Toupets und die Rolex-Uhr stammt vom Parkplatz. Kreuzt eine mutmaßliche Beute ihren Weg, zeigen sie unaufgefordert den BMW-Autoschlüssel.
»Dica, signora?« Die Kellnerin zückte erneut den Block.
Wir bestellten zwei Vorspeisen, Pasta und Lamm mit Rosmarin. Dazu Wein des Hauses und Mineralwasser.
Das Essen war viel besser als der Service, wir genossen es mit Muße. Von der gegenüberliegenden Bar klang Livemusik mit Sänger herüber . Die rote Sonne versank bei Capri im Meer, Santa Lucia und Zwei kleine Italiener – fein abgestimmt auf den Geschmack der Touristen, die in den Fünfzigerjahren jung gewesen waren.
»Wenn ich einmal reich wär, o je wi di wi di wi di wi di wi di wi di bum …«
Bei den ersten Tönen lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Auch Wayne zuckte.
»Ich hätte Zeit und könnte endlich zum Beten oft in die Synagoge gehn. Ein Ehrenplatz dort wäre mein schönster Lohn… Wenn ich einmal reich wär, o je wi di wi di wi di wi di wi di wi di bum …«
»Ein Musical über das Leben eines jüdischen Milchmanns. Wie passend«, meinte Wayne sarkastisch. »Ob der Sänger weiß, was hier vor siebzig Jahren passiert ist?«
»Ich glaube nicht«, entgegnete ich. »Und die Zuhörer auch nicht. Die würden sonst nicht mitsingen. So pervers ist keiner.«
Ordnung im Kopf, Blut im Boden
Wayne übernahm die geraden Strecken am Steuer, ich lenkte den Wagen über den Gotthardpass, der uns mit weiter Sicht und klarer Luft erfreute. Es war Sonntag und wir kamen gut voran. Nördlich des Schwarzwaldes verschwand die Sonne und hinter Frankfurt begann es zu regnen.
So ein Reisetag kann Ordnung schaffen im Kopf. Es gab einfach zu viel, das ich nicht wusste über die Zeit der Nazischreckensherrschaft.
»Würde so ein Typ wie Hitler heute noch eine politische Karriere machen?«, fragte Wayne. »Mit diesem dumpfen, abgrundtiefen Hass?«
»Das würde er sicher. Er hat doch immer noch genug Anhänger«, antwortete ich. »Denk mal an die Neonazis. Oder die Diktaturen in der arabischen Welt. Faschismus verschwindet nicht, er kommt dem Menschen und seinem Egoismus entgegen. Es ist doch schön, wenn man jemanden hat, dem man die Schuld für alles geben kann. Damals waren es in Deutschland vor allem die Juden, heute sind es für die Neu-Faschos einfach alle Ausländer.«
Am späten
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