Grappa und die Toten vom See
Nachmittag gossen wir uns in einer Raststätte mit Kaffee voll. Noch hundert Kilometer und Bierstadt würde uns wiederhaben.
»Du hast ganz müde Augen, Grappa«, sagte Wayne. »Lass mich die letzte Runde übernehmen. Das war schon ganz schön anstrengend da unten.«
»Ach, was«, wehrte ich ab. »War doch klasse, in so einer schönen Landschaft arbeiten zu dürfen.«
Frau Schmitz hat Probleme und wird gewarnt
Als ich den Laden betrat, räumte Anneliese Schmitz gerade die warmen Brötchen vom Blech in den Korb. Donka, die angehende Bäckereifachverkäuferin mit bulgarischem Migrationshintergrund, schaute interessiert zu.
»Da bin ich wieder«, strahlte ich.
Die Bäckerin putzte die Mehlhände am Kittel ab. »Frau Grappa! Wie isses?«
»Muss.«
»Und sonst?«
»Ich brauch ein deutsches Frühstück.«
»Dann geh mal durch, ich komm gleich. Donka, mach ma fettich.«
Im Bistro lag das Tageblatt von heute. Mein Artikel prangte im überregionalen Teil. Auch der Brief von Samuel Cohn wurde gezeigt. Berthold Schnack war sogar selbst noch aktiv geworden. Er hatte einige geschichtliche Zusammenhänge zusammengetragen und sie in einem Infokasten auf die Seite gesetzt.
Ich las:
Politische Lage in Italien vor siebzig Jahren
1940 tritt das faschistische Italien unter Mussolini an der Seite Nazideutschlands in den Zweiten Weltkrieg ein. Als Italien 1941 Deutschland bei seinem Angriffskrieg gegen die UdSSR unterstützt, ist die Stimmung in den italienischen Truppen gespalten. Auch in der Zivilbevölkerung wächst der Unmut gegen den Krieg. Italien wird durch die Alliierten bombardiert. Im Mai 1943 kapitulieren die deutsch-italienischen Truppen in Afrika, im Juni landen die Alliierten auf Sizilien und setzen auf das italienische Festland über. Die Macht Mussolinis schwindet, er wird abgesetzt und gefangen genommen. Die Resistenza, der Widerstand gegen den Faschismus in Italien, beginnt am 8. September 1943. Doch die Nazis schlagen zurück und besetzen Italien. Wenig später beginnt die Verfolgung der jüdischen Flüchtlinge mit dem Massaker am Lago Maggiore durch Soldaten der ›Leibstandarte-SS Adolf Hitler‹.
Frau Schmitz brachte Kaffee, Rührei, Käse, Gürkchen und zwei Brötchen.
»Traurige Geschichte«, sagte sie mit Blick auf die Zeitung. »Was die Menschen sich alles so antun. Und wie hängt das alles mit den Morden an dieser Familie zusammen?«
»Die Juden wurden ausgeraubt, bevor sie ermordet wurden. Und David Cohn, eins der aktuellen Mordopfer, hatte eine Spur, wo das Vermögen seiner Vorfahren geblieben sein könnte. Mehr weiß ich leider noch nicht.«
»Ist er auch wieder zurück?«, lächelte die Bäckersfrau.
»Wen meinst du denn, Frau Schmitz?«, fragte ich pro forma zurück.
»Na, den Herrn Kleist!«
»Oh, der kommt heute oder morgen. Mit dem Flieger«, antwortete ich.
»Ich würde den Herr Kleist gern mal um Rat fragen. Ich hab da inzwischen echte Probleme, da, wo ich jetzt wohne.«
»Wieder deine Nachbarn?«
»Ja. Das geht nicht so weiter.«
Die Ladentür bimmelte.
»Moment, Kundschaft! Bin gleich wieder bei dir.«
Einige Monate zuvor hatte Anneliese Schmitz mich mit der Nachricht überrascht, dass sie sich ein kleines Haus im Negerdorf gekauft hatte. Die Gegend war mir bekannt, sie hatte Bergbau-Tradition und ich hatte häufig über die Siedlung berichtet. Dort reihten sich Zechenhäuser aneinander, voneinander geteilt durch Gärten, Zäune und Schuppen. Kumpel lebten in dem Viertel schon lange nicht mehr, denn alle Zechen waren dicht. Der Name Negerdorf aber hatte sich gehalten. Er spielte auf die Hautfarbe der Bergleute an, wenn sie nach Schichtende wieder ans Tageslicht kamen. Die nächstgelegene Zeche verfügte nicht über Waschkauen und die Arbeiter mussten ihren Heimweg ungewaschen – also schwarz – antreten.
Frau Schmitz’ Häuschen war klein, aber fein. Der Vorbesitzer hatte es immer wieder renoviert. Es gab ein Bad, eine Ölheizung und Fenster, die alle Anforderungen an moderne Wärmedämmung erfüllten. Der Garten war verwinkelt mit mannshohen Büschen, Gemüsebeeten, Kräuterschnecke und einer Terrasse aus Naturholz. Eine prima Sache für den letzten Lebensabschnitt.
Wenn da nicht die Nachbarn wären. Ein Ehepaar mittleren Alters, allein lebend, mit viel Zeit, sich um das Leben von Anneliese Schmitz zu kümmern und es ihr möglichst schwer zu machen.
Die Geschichte begann mit zwei Ginstern, die den Nachbarn zu nah an ihrem Grundstück standen. Die Sache war nur, dass
Weitere Kostenlose Bücher