Grappa und die Toten vom See
die Grundstücksgrenze schwer festzustellen war, weil es keinen Zaun gab. Also ließ Frau Schmitz einen errichten, um Klarheit zu schaffen. Nach dem Gesetz muss der Nachbar mitwirken und die Hälfte bezahlen. Die Nachbarn wollten das nicht – Frau Schmitz klagte und bekam Recht.
Der Sieg vor dem Amtsgericht war die Initialzündung für weitere Attacken: Die Nachbarn warfen die Exkremente der Katzen, die sich in den Gärten herumtrieben, auf Frau Schmitz’ Terrasse, Gartenabfall landete vor der Haustür und tote Mäuse und Vögel im Briefkasten – natürlich nur, wenn die Bäckerin nicht zu Hause war.
Anneliese Schmitz hatte die Kundschaft zu Ende bedient und setzte sich zu mir.
»Was ist los?«, fragte ich. »Piesacken sie dich wieder?«
»Ja, aber sie tun es nicht selbst. Die schicken jetzt andere.«
»Andere?«
Sie zog einen Umschlag aus ihrem Kittel, öffnete ihn und gab mir ein Foto. Es zeigte die Fassade des schmitzschen Hauses. Unter den beiden Fenstern im Erdgeschoss befanden sich Graffiti. Schlampe – war in großen roten Buchstaben zu lesen und darunter: Rotfront verrecke.
»Ich hab das inzwischen wegmachen lassen«, berichtete sie. »Aber das tut ja was kosten. Frau Grappa, wenn das weiter so geht, dann kann ich da nicht wohnen bleiben.«
»Bis du dir sicher, dass es deine Nachbarn waren? Rotfront verrecke – das ist ein Neonazispruch.«
»Wer soll es denn sonst sein?«
»Frau Schmitz, ich weiß es nicht und ich versteh es nicht«, antwortete ich. »Der Spruch mit der Rotfront hat Tradition und ist sogar verboten, soviel ich weiß. Politisch aktiv bist du nicht, oder?«
»Nein, ich bin nur bei der Bürgerinitiative dabei. Gesicht zeigen gegen Rechts. Ich hab da so ein Papier unterschrieben, das dem Oberbürgermeister überreicht werden soll.«
»Aha. Da kommen wir der Sache schon näher, Frau Schmitz. Du lebst in einem Stadtteil, in dem ein paar Rechtsradikale die Leute terrorisieren. SS-Zeichen auf Häusern und Autos, eingeschlagene Fenster bei Antifa-Leuten – darüber wird ja nun seit Monaten berichtet.«
»Und warum macht die Polizei nichts?«
»Sie fahren häufiger Streife«, sagte ich. »Auch das stand in der Zeitung.«
Ich dachte an die Naziverbrechen der Vergangenheit. Frau Schmitz’ Sorgen knüpften genau dort an – an den Anfängen. Noch immer gab es Typen, die aus der Geschichte nichts gelernt hatten. Zum Glück duldete unser Staat rechtsradikale Verbrechen nicht – zumindest sah das Gesetz es so vor. Dass Verfassungsschützer das Killerkommando Nationalsozialistischer Untergrund jahrelang »geschützt« hatten, stand allerdings noch auf einem anderen Blatt.
»Ich war auf der Wache und hab ’ne Anzeige gemacht«, berichtete die Bäckerin weiter. »Gegen unbekannt. Der Polizist hat die auch entgegengenommen. Und dann hab ich ihm noch von dem Ärger mit den Nachbarn erzählt. Und dann passierte etwas ganz Komisches.«
»Was Komisches?«
»Nachdem er den Namen dieser Stinkstiefel gehört hatte, sagte der Wachtmeister, dass ich vorsichtig sein soll. Aber warum, das sagte er nicht. Kannst du dir einen Reim darauf machen, Frau Grappa?«
Ich verneinte.
»Na siehste. Deshalb will ich den Herrn Kleist sprechen. Dass er mal nachguckt in den Akten, ob die Leute schon bekannt sind.«
Brauner Terror und Zahnpflege für Hunde
Ich hatte wenig Lust, mich mit Frau Schmitz’ Sorgen zu befassen, doch ich wollte sie auch nicht im Stich lassen. Fabian Fellner hatte aber Vorrang auf meiner To-do-Liste, er war der Einzige, der Kontakt zu David Cohn gehabt hatte und mir bekannt war. Außerdem musste ich dringend das Umfeld der Mahlers abklopfen. Waren sie in die Recherchen des israelischen Neffen eingeweiht?
Vor dem Verlagshaus tummelten sich die Kollegen, die vor der Redaktionskonferenz noch schnell eine Zigarette rauchen mussten. Traditionsgemäß kniff ich meine Nasenflügel zusammen, hielt die Luft an und ging schnell an ihnen vorbei.
»Unsere Grappa ist wieder da«, rief mir Simon Harras hinterher. »Aus dem Urlaub in Italien. Du bist ja gar nicht braun!«
Ich ließ meine Nase los. »Da unten war es braun genug«, entgegnete ich und verschwand im Fahrstuhl.
Auch in der Redaktionskonferenz waren die Neonaziumtriebe im Stadtteil Dorstfeld Thema. Die Lage dort hatte sich während meiner Abwesenheit verschärft.
Bärchen Biber, der sich allmählich von einem karrieresüchtigen Chefliebling zu einem ernsthaften Journalisten zu entwickeln schien, hatte von einer Bürgerinitiative
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