Grappa und die Toten vom See
Vorfahren gestorben waren. In den letzten Monaten war er allerdings nachdenklicher als sonst. Ich kannte ihn und auch seine Frau als sehr gesellige Menschen, aber sie hatten sich etwas zurückgezogen. Eigentlich dachte ich, dass sie sich um Melanie sorgten. Sie hatte bisher wenig Glück mit Männern und steckte ständig in irgendwelchen Beziehungskatastrophen.«
»Hatten die Mahlers Probleme mit antisemitischen Anfeindungen?«
»Das weiß ich nicht. Davon haben weder Norbert noch Elise etwas gesagt oder angedeutet. Allerdings …«
»Ja?«
»Es kam mir seltsam vor, dass Norbert einmal davon sprach, dass er nur nach jüdischer Definition Jude sei. Sie kennen das ja sicher. Für die Orthodoxen ist es ganz klar: Wer aus dem Leib einer jüdischen Mutter kommt, ist Jude. Er selbst fühlte sich aber nicht als Jude, sondern als deutscher Atheist.«
»Ich verstehe. Gab es denn einen Grund, dieses Thema anzusprechen?«
»Nein. Darum hat mich die Bemerkung ja so verwundert. Es kam in Zusammenhang damit zur Sprache, dass der Neffe aus Israel erwartet wurde.«
Ich dachte nach. »Der Neffe. David Cohn. Machten Melanies Eltern sich vielleicht Sorgen, dass sich zwischen ihr und dem Neffen etwas entwickeln könnte?«
»Ich weiß nicht. Aber irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte. Sie wirkten einfach nervös. Ich wollte Melanie noch anrufen und fragen, wie es ihr geht, hab es dann aber leider vergessen.«
»Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrem Patenkind?«, fragte ich.
»Früher schon. In letzter Zeit war es etwas schwieriger. Der Kontakt zu ihr verflachte. Vor einem halben Jahr rief sie mich an, weil sie Hilfe erhoffte – sie wollte auch Journalistin werden. Ich konnte ihr ein Volontariat besorgen, aber dann trat sie die Stelle nicht an – was mich wiederum sehr enttäuschte.«
»Wussten Sie von der Reise an den Lago Maggiore?«
Schnack verneinte. »Norbert und Elise hatten sonst immer andere Urlaubsziele. Karibik, Kalifornien, Ibiza. Aber ein langweiliger See mit Kurkliniken und geriatrischen Einrichtungen? Sie machten sich regelmäßig lustig über mich, wenn ich mal in einem Wellnesshotel im Schwarzwald ausspannte. Und dass Melanie mitgefahren ist, hat mich noch mehr verwundert. Sie hat schon viele Jahre keinen Urlaub mehr mit ihren Eltern gemacht.«
»Ich würde gern ein paar Zeilen über den toten Radfahrer schreiben«, kündigte ich an. »Vierzig Zeilen reichen aus.«
Mein Chef nickte abwesend. »Norbert wollte in zwei Jahren kürzertreten. Er suchte bereits ein Haus in Frankreich. Und jetzt ist er tot. Immer noch unfassbar.«
Schnack schien der Tod der Mahlers wirklich an die Nieren zu gehen. Er tat mir fast leid.
Begegnung der dritten Art beim Italiener
Fabian Fellner meldete sich nicht auf dem Handy. Ich hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox. Auch Kleist war nicht zu erreichen. Also machte ich mich an den Artikel. Ich zog mich in meine Einzelzelle zurück und sortierte meine Aufzeichnungen.
War der tote Radfahrer kein Opfer, sondern der Täter?
Neue Theorien zum Fünffachmord am Lago Maggiore: Die Ermittler haben Anhaltspunkte, die den unbekannten Mann auf dem Rad zu einem Verdächtigen machen. Er fuhr nicht zufällig am Tatort vorbei, an dem die Familie M. ermordet wurde, sondern er wartete auf sie: Die Spurensicherung fand zahlreiche Zigarettenkippen mit der DNA des Mannes. An seiner Hand wurden Schmauchspuren entdeckt. Er muss also geschossen haben. Wer ist dieser Mann? Was hat er mit der toten Familie und dem israelischen Journalisten zu tun?
Es klopfte. Stella steckte den Kopf durch die Tür. »Unten im Empfang wartet jemand auf dich.«
»Und wer?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Und fragen konntest du nicht?« Wann endlich wird diese Frau begreifen, was ihr Job ist?, dachte ich.
»Kannst ihn ja selbst fragen«, schnippte die Sekretärin. »Ich hab echt genug am Hals.«
»Ich war unterwegs, als Sie auf meine Mailbox gesprochen haben, und dachte, ich komme am besten gleich her«, verkündete Fabian Fellner, nachdem er sich vorgestellt hatte. »Schön, dass wir uns endlich treffen.«
Ich betrachtete ihn. Ein gut aussehender junger Mann, drahtig, offenbar durchtrainiert, mit wachem Blick und wirrem dunklem Haar.
»Lassen Sie uns woanders hingehen«, schlug ich vor. »Haben Sie Hunger? Ich lade Sie zum Essen ein.«
Hundert Meter vom Verlagshaus entfernt hatte eine Trattoria aufgemacht. Die Kollegen schwärmten von der Qualität der Speisen und dem Ambiente.
Hinter einer
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